Gesamtausgabe Band 3 [4 Bücher]
Herbert Achternbusch
ISBN: 978-3-85252-489-4
21 x 15 cm, 4 Bücher: 54, 56, 58, 56 S., Hardcover
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Kurzbeschreibung
Herbert Achternbusch – Gesamtausgabe, Bd. 3
enthält
Ich als Japanerin
Liebesbrief
Mein Vater heißt Dionysos
Schnekidus
Die Polizisten, die das Nazigold von Berlin in die Alpen begleiten, sind doch Deppen. Luise sagt das mit einer beiläufigen Überzeugung, wie sie bei vielen Wiederholungen zustandekommt. Adolf, raucht lässig, weil es bei seinem Zigarettenkonsum nicht auf die einzelne Zigarette ankommt. Hinter sich hat er das Fenster, und wie der Rauch steigt sein Blick zum Fenster: die Zeiten haben sich geändert und würden sich noch viel, viel mehr ändern.
Das ist mir scheißwurst, sagte Adolf laut. Luise, in gewinnsüchtigen Gedanken versponnen, sagte etwas unwirsch: Was!? Alles, meinte Adolf und das klang wie eine lästige Drohung. Schani, sagte Luise milder gestimmt, denn dieses geradezu selbstmörderische Alles konnte auch sie betreffen, ja konnte sich gegen sie in Aggression verkehren. Alles, das war auch sie. Alles war aber auch, daß Adolf mit irgendeiner Frau ins Bett ging und sich nichts scherte, wenn sie, Luise, später heimkam, die beiden in ihrem Bett vorfand, außer sich geriet, ihr Handgepäck, oder was sie gerade bei sich hatte, einen Regenschirm, einen Wecken Brot oder 8 Briketts in Zeitungspapier gewickelt, auf die beiden niederließ, alles zu zerfetzen, auch sich selbst. In der Küche den Gashahn auf, und an den Scherben im Küchenfenster die Pulsgegend der Handgelenke traktierend.
Ach, warum nicht hat mich eine Bombe, eine einzige Bombe der unzähligen Bomben in den unzähligen Bombennächten zerrissen? Warum nur nicht! Ich stehe mir im Weg. Doch nie wieder werde ich die weiße Fahne hissen. Mein Herbert, ich komme zu dir.Der kleine Herbert war nur 8 Jahre alt geworden. Ein schöner Engel ist er geworden, sagte die katholische Krankenschwester. Ich scheiß drauf, sagte sein Vater.
Die Mutter wollte sich von der Steinernen Brücke in Regensburg in die Donau stürzen. Machen Sie doch das nicht, liebe Frau, sagte ein Passant. Luise durfte vor ihrem Chef den Handstand machen. Dann legte er ihr, als sie vom Handstand wieder herunten war und sein Diktat mitstenografierte, blutiges Kalbfleisch auf ihr linkes Knie. Sie schrie auf, sie sprang auf. Wollte nach Hause radeln, in die Walhallastraße. Ihr nagelneues weißes Rad war fort, gestohlen, jahrelang hingespart.
Die Schwester Anna wurde endgültig das Lieblingskind des Vaters, nachdem der langersehnte Sohn gestorben war. Ella, die dritte Tochter wurde wegen des Ausbleibens eines Sohnes narrenhausreif geschlagen, unter anderem war sie 11 Jahre in der Irrenanstalt Haar. Was Auschwitz unter den Lagern war, war Haar unter den Irrenhäusern. Im KZ wäre ich wenigstens umgekommen, in Haar mußte ich weitervegetieren, pflegte Ella zu sagen.
Nachdem Adolf sein Alles in die Luft gehängt und auf dem Zigarettenrauch aufgehängt hatte, wo es wie ein Aufklärungsflugzeug feststand und all die Drohung in sich barg, die dann ein Bombengeschwader freigibt, zog sich Luise das Tischchen, auf dem sie saß, in die Küche, zündete das Gas an und wartete, bis die Gasflammen ihre Reissuppe erwärmt hatten. Magst du auch eine Suppe, zu sagen, wäre jetzt nicht angebracht gewesen.
Sie streichelte einen der vier Mohren, die die Tischplatte trugen, auf der sie saß. Aus Adolfs Wohnung in der Theresienstraße, wo jetzt die Dresdner Bank drinnen ist, die all die Nachkriegsjahre so eine miserable Ausstrahlung hatte bis man wußte, daß sie sich am Gold aus den Vernichtungslagern bereichert hatte und jetzt endlich eindeutig gebrandmarkt dasteht, aus der Wohnung im ersten Stock über der jetzigen Dresdner Bank hatte Luise das Negertischchen aus den Flammen gerettet.
Was steht ihr denn so nutzlos herum, fuhr sie die Feuerwehrleute an, die ebenfalls aussahen, als hätte man sie auf dem Weg vom KZ oder ins KZ verloren. Fahrt mir die Leiter an dieses Fenster im 1. Stock. Die Flammen schlugen heraus, weißlich und schnell, wie sie Phosphorbomben verursachen. Laß sie doch abbrennen, die Hurenbude, die verfluchte, schrie Adolf Luise nach, die im Schutz eines dünnen Wasserstrahls in die Wohnung stieg und mit dem Negertischchen wieder herauskam.
Langsam kam sie herunter und die Feuerwehrleute bespritzten sie mit allen Schläuchen, die ihnen zur Verfügung standen. Auch als sie den Tisch vor dem rauchenden Adolf abstellte, bespritzten sie die Männer immer noch. Hört jetzt auf damit, sagte Luise, euer Wasser ist ja schlimmer als das Feuer. Dieser Satz ließ sie endgültig als die Mutigste im Gedächtnis der Anwesenden weiterleben.Die Couchgarnitur war nicht mehr zu retten, sagte sie noch. Ihren behäbigen, fast schon mütterlichen Busen berührten die vom Wasser zu engen Korkenzieherlocken gedrehten Haare, die Nässe nahm den rötlichen Schimmer und ließ ihr Haar viel dunkler erscheinen. Du bist die Schönste auf der Welt, sagte Adolf und umspannte mit der Zigarettenhand die breiten, ja ausladenden Schultern von Luise und orderte mit der rechten Hand eine Decke herbei, denn es war April.
Du bist die Schönste der Welt. Die Schönste von München oder die Schönste von Bayern, gar Oberbayern oder noch schlimmer von Niederbayern zu sagen, wäre unmöglich gewesen. Auch die Schönste von Deutschland hätte kränkend sein können, denn was war Deutschland noch außer verkommen und verkohlt?! Deutschland wollte die Welt werden. Der Satz stand immer noch und die ganze Welt siegte nun gegen Deutschland, da war es schon angebracht, ja, das Höchste zu Luise zu sagen: Du bist die Schönste der Welt. Adolf wußte Bescheid mit der Welt. Mit der Welt der Frauen.
Rezensionen
ORF Radio Österreich 1: Achternbusch-Gesamtausgabe, Band 3Der bayerischer Provokateur beendet sein Künstlerleben
„Ich schreib' zwar, aber ich bin kein Literat“
Ein Abend im Hofbräuhaus. Herbert Achternbusch, der Urahn aller Christoph Schlingensiefs zwischen Kiel und Ruhpolding, ist dort, um, wie er sich ausdrückt, Japaner zu schauen. Das tut er angeblich sehr gern, wenn er nicht schreibt. Oder malt. Oder Filme macht.
Bier trinken ist Bedingung, denn, so Herbert Achternbusch, „wenn wir ein Bier trinken, bekommt München wieder eine Realität“. Und dann sagt er noch: „Alles ist vergänglich, nur der Kuhschwanz, der bleibt länglich.“
Bayerischer Querschädel
Herbert Achternbusch, der im November 65 Jahre alt geworden ist, wird seit drei Jahrzehnten gern mit den Attributen Querschädel, Anarchist, ja sogar Staatsfeind bedacht. In Bayern ist man so etwas sehr schnell. Da reicht es aus, die Lehren der katholischen Kirche zu ironisieren oder dem brutal-gemütlichen Alltagsfaschismus aufzulauern. Der deutsche Diktator ist halt eine Geburt des bayerischen Bierkellers.
Seit einigen Jahren hat Achternbusch im Waldviertel seine zweite Heimat gefunden. Und einen Verlag. Nicht Suhrkamp oder Hanser, wie früher, betreuen sein Gesamtwerk, sondern die Bibliothek der Provinz. Dort ist nun der dritte Band der Gesamtausgabe erschienen. Der wiederum besteht aus vier schmalen Büchern: „Mein Vater heißt Dionysos“, „Liebesbrief“, „Ich als Japanerin“ und „Schnekidus“.
Gesamtkunstwerk Achternbusch
Man kann Herbert Achternbusch ruhigen Gewissens als bayrisches Gesamtkunstwerk bezeichnen. Er schreibt, malt, und hat nicht weniger als 24 Spielfilme realisiert. Achternbusch ist Teil seines stetig wachsenden Gesamtkunstwerks.
Da mag es ein wenig verwundern, dass ausgerechnet in Österreich die Gesamtausgabe seiner Werke im Entstehen ist. Denn es mag doch ein wenig zu früh sein, wenn man mit 65 Künstlerjahren eine Bestandsaufnahme seiner Schriften in die Wege leitet.
„Ich wollte eigentlich ein Künstlerleben führen, das beendet ist, bevor mein natürliches Leben beendet ist.“
Alles fließt
Bei Achternbusch, ob auf der Filmrolle oder auf dem bedruckten Papier, ist alles im Fluss. Die griechische Philosophie hat es ihm angetan, das Panta re, dass eben alles fließt und eben nur willkürlich begrenzt werden kann.
„Der Fluss ist das Wichtigste. Des weiß doch a jeder, wie's im Kopf zugeht. Warum soll ich am Blatt Papier reinen Tisch machen, wenn's in mir keinen reinen Tisch gibt. Wir haben eigentlich ein Kopfleben, von dem wir a bissl a Ahnung haben, vielleicht einen Zipfel einmal erwischen, aber letzten Endes ziemlich blöd danebenstehen. Ich glaube, alles Geheimnis der Schriftstellerei ist, ob ein Individuum den Einstieg findet in seinen Gedankenfluss.“
Assoziationsreiches Denken
Der dritte Band seiner Gesamtausgabe ist sicher ein guter Einstieg ins fließende und assoziationsreiche Denken des Künstlers. Da schreibt er über die lebenswichtige Begegnung mit Werner Herzog, der Achternbuschs Weg zum Filmemacher mitbereitet hat, da betritt Martin Walser als Parsival der deutschen Literatur die Bühne, der Geheimrat Goethe führt ein Gespräch mit Sisyphus über den Zustand der Welt und der Literatur.
Achternbusch höchst persönlich hält ein Plädoyer für die komplette Umwandlung des deutschen Theaters. Keine Stücke, sondern ganze Philosophien wie die von Kant sollten zur Aufführung gebracht werden.
Die Schnittfläche von Realem und Surrealem
Die Überraschungen, die Achternbusch in seinen Texten dem Leser bietet, bestehen oft in der exakten Darstellung der Schnittfläche von Realem und Surrealem. Überraschend ist allerdings auch, dass er in diesem Band den Leser ganz nahe an seine persönliche Geschichte heranführt: an die frühe Kindheit, an Achternbuschs Mutter, die wenig über die Nazis nachdachte, und die der Judenvernichtung teilnahmslos gegenüberstand.
Der Vater als Dionysos
Bei Achternbusch wird das Persönliche politisch und dies eben auf einem autobiografischen Hintergrund, etwa wenn Achternbuschs Vater als Dionysos auftritt. Dabei nähert sich Achternbusch oftmals dem schwarzen Humor an, vorsichtig und in Andeutungen, ganz anders als der schwarze Humor in Wien gepflegt wird.
„Ich mag gern, dass man das so formuliert, dass man gar nicht merkt, wo das hinwill, also nicht schlagartig erkennbar ist. Bei mir ist das Hinterfotzige, das meist so langsam… das geht ja ins Schwarze.“
Herbert Achternbuschs Gedankenwelt bleibt in Fluss, und damit sicherlich auch sein Gesamtkunstwerk.
(Rezension auf der Webseite von Radio Österreich 1 vom 30. Dezember 2003)
http://oe1.orf.at/artikel/209677
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Alexanderschlacht
Bier
Der Weltmeister
Die Reise zweier Mönche
Dschingis Khans Rache
Duschen
Ein Wikinger
Guten Morgen
HINUNDHERBERT
Ich als Japanerin
In der Dämmerung
Ist es nicht schön zu sehen wie den Feind die Kraft verlässt
Karpfn
Kopf und Herz
Liebesbrief
Mein Vater heißt Dionysos
Misslungen
Schlag 7 Uhr
Schnekidus
Von Andechs nach Athen
Weiße Flecken