… und morgen ist die Nacht vorbei
Das KOMA und nach dem KOMA alles noch einmal lernen · [Medizinische Erläuterungen und das Protokoll der Übungen für Wahrnehmung, Sprache und Gedächtnis dokumentiert für Menschen ähnlichen Schicksals]
Sigrid Willheim, Monika Murg
ISBN: 978-3-85252-358-3
21 x 15 cm, 100 Seiten, m. Abb., graph. Darst., Hardcover
€ 15,00 €
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Kurzbeschreibung
Als Anknüpfungspunkt eine kurze Skizze des Ereignisses, das mein Leben endgültig verändert hat. Mein Mann, Rechtsanwalt von Beruf und zu diesem Zeitpunkt sechsundfünfzig Jahre alt, hatte beim Tennisspielen einen Herzstillstand, er wurde reanimiert. Doch erst nach mindestens zwölf, wahrscheinlich sogar erst nach achtzehn Minuten begann sein Herz wieder zu schlagen. Er hatte keinen Atem, keine Reflexe, die Prognose wurde dementsprechend düster gestellt. Er war in einem Schwebezustand, und es bestand die Gefahr, dass er für immer versank.
Ich wagte es nicht, einen Arzt zu fragen, was ich tun könnte. Ich fürchtete mich vor dem Fachwissen, das zwar das Ausmaß des Gehirnschadens exakt feststellen kann, aber keinen Platz für Hoffen und Träumen lässt. Ich wurde immer auf das Argument der „realistischen Einschätzung“ der Sachlage zurückgeworfen. Zitat: „Sie müssen das schon realistisch sehen.“
So ein Ereignis kann man nur zwischen Hoffen und Bangen wahrnehmen, niemals kann man eine so schlagartig veränderte Situation realistisch sehen. Alle meine Zukunftsphantasien waren schrecklich.
Als Lehrerin dachte ich mir, das Gehirn ist lernfähig. Lernen ist die Vollendung des Gehirns. Die noch funktionstüchtigen Zellen müssten diese Eigenschaften noch besitzen.
Und so begann ich bereits in der Intensivstation auf ihn einzuwirken. Als Jahre später Monika zu mir sagte: „Das, was Sie da mit ihrem Mann gemacht haben, gehört unbedingt dokumentiert.“ habe ich mich sehr gefreut. Schon früher hatten mich befreundete Ärzte angeregt, doch aufzuschreiben, was ich mache, aber ich hatte weder Energie noch Kraft die Übungen zu dokumentieren.
Monika ist sehr jung und kann sich dem Leiden und der Verzweiflung der Angehörigen nicht entziehen, sie meinte, damit könnte man Angehörigen, die in der Therapie eine Funktion einnehmen möchten, konkrete Hilfe anbieten. Diese Dokumentation mit ihr macht mir große Freude, letztendlich erzähle ich auch von meinem Beruf, denn auch da ging es um Sprache, Zählen, Rechnen und Unterscheiden lernen. Außerdem ist ein großes Stück wirkliches Leben zurück gekehrt in der Form, dass ich mit einem Menschen arbeiten, nachdenken, verwerfen und auch lachen kann und es doch gleichzeitig nicht eine Flucht vor meinem Leben, sondern ein Ausdruck meines neuen Lebens ist.
Die Auseinandersetzung mit der Erkrankung meines Mannes und die Erstellung eines Therapiekonzeptes, wobei ich viel Literatur lesen musste, war für mich eine Möglichkeit, diese Situation zu bewältigen.
Als ich mit meinem Mann zu arbeiten begonnen habe, konnte er weder reden, lesen noch schreiben und nichts mehr benennen. Der Fortschritt war so langsam, dass ich ihn kaum bemerkte. Aber wenn ich zurückschaue, bemerke ich wohl, dass wir einen langen Weg gegangen sind und uns vom Zustand am Beginn doch weit entfernt haben.
(Sigrid Willheim, Angehörige und Lehrerin, im Vorwort)
Rezensionen
Josef Steiner: „… und morgen ist die Nacht vorbei“: Liebe, die etwas willEs geht immer um die Frage: wozu? Mein Einsatz, mein Engagement verfolgen ein Ziel. Was will ich erreichen?
Lebensfroh, dynamisch und liebevoll verabschiedete er sich von seiner Frau – zum Sport. Reanimiert nach achtzehn Minuten, im Koma auf der Intensivstation liegend fand sie ihn wieder – Herzstillstand. Realistische Einschätzung der Ärzte oder die Antwort der Liebe, das war jetzt die Frage.
Die Frau entschied sich für das Zweite. Sie begann mit ihrem Mann zu arbeiten wie mit einem Neugeborenen. Noch während er im Koma lang, fing sie mit Anreizen für die Sinne zur Erinnerung an: Sie spielte ihm seine Lieblingsmusik und Naturgeräusche vor; ließ ihn auf einem Stofftaschentuch Gerüche von Flieder und Vanille riechen; legte ihm Prisen von Salz und Zucker auf die Zunge; gab ihm einen Wattebausch, einen Stein in die Hand; sie massierte seine Fußsohlen, beugte und streckte am Tag hundertmal langsam seine Gelenke.
Als er wieder bei Bewusstsein und zurück im gewohnten Lebensraum war, brachte sie Hilfen zur Orientierung an, „Küche“, „Toilette“, ging klug mit seinen Verwirrtheiten um und reagierte einfühlsam auf seine überraschenden Gefühlsausbrüche. […]
Mit einfachen Reimen, mit Gegensatzworten, mit Bild-Wort-Karten, mit Gedächtnis- und Konzentrationsübungen führte sie ihn behutsam zum Wiedererlernen von Sprache, zum Sätzebilden, Telefonieren. In jahrelanger Arbeit brachte sie ihren Mann so weit, dass er in Begleitung ausgehen, im Kaffeehaus die Zeitung lesen und an den Geschehnissen um sich herum wieder teilnehmen konnte. Ihre Liebe hatte ein Ziel: „…und morgen ist die Nacht vorbei.“ Und sie erreichte es. […]
(Josef Steiner, Rezension in der Presse vom 5. Mai 2012)
https://www.diepresse.com/755040/bdquo-und-morgen-ist-die-nacht-vorbeildquo-liebe-die-etwas-will
SHT/SHV-News: [Rezension zu: Sigrid Willheim & Monika Murg, „… und morgen ist die Nacht vorbei“]
Der Mann von Sigrid Willheim erlitt beim Tennisspielen einen Herzstillstand und fiel nach gut 15 Minuten Reanimation ins Wachkoma. Sie hatte Angst vor dem Ausmaß des Gehirnschadens und schwankte zwischen Hoffen und Bangen. Doch das Gehirn ist lernfähig und so begann sie schon auf der Intensivstation auf ihren Mann einzuwirken. Um mit ihrer eigenen Erfahrung auch anderen Menschen weiterhelfen zu können, motivierte sie die neurologische Ärztin Dr. Monika Mung in einem Buch konkrete Hilfe weiterzuleiten. Das Wachkoma aus medizinischer Sicht und über die Anregungen durch die fünf Sinne werden im ersten Teil aufmerksam gemacht. Dann folgt die Zeit danach, wie Bewußtsein, Wahrnehmung und Gedächtnis wieder erlangt werden können. Mit diesem Werk schaffte es Frau Willheim die neue Situation leichter zu bewältigen. Fortschritte waren und werden immer da sein, auch wenn sie langsam passieren, denn der Weg ist sehr lang. Der Titel „… und morgen ist die Nacht vorbei“ ist als Versprechen gemeint, das so wie Glück auch Unglück vergeht.
(Rezension in: SHT/SHV-News #3/2001)