Das zusammengedrängte Gedenken
Leopold Kupelwiesers Freskenzyklus in der Niederösterreichischen Statthalterei
Sigrid Eyb-Green
ISBN: 978-3-99028-075-1
27,5×24,5 cm, 312 Seiten, zahlr. vierfärbige Abb., Hardcover m. Schutzumschl.
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Kurzbeschreibung
Der Freskenzyklus von Leopold Kupelwieser im Gebäude der Niederösterreichischen Statthalterei in Wien zählt zu den frühesten und zweifellos bedeutendsten patriotischen Geschichtszyklen des österreichischen 19. Jahrhunderts.
Eine detaillierte monographische Betrachtung zählte bisher allerdings zu den Desideraten der Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und wird mit dieser Publikation eingelöst.
Die vorliegende Arbeit kann in mehrfacher Hinsicht als ein besonderer Glücksfall betrachtet werden: In einem interdisziplinären Zugang ist in modellhafter Weise die untrennbare Verknüpfung von Inhalt und Technik in den zahllosen Verquickungen und Symbiosen in allen Filiationen eindrucksvoll nachvollzogen.
Rezensionen
Gregor Auenhammer: Topografie des ErinnernsDie Betrachtung von Eyb-Green zeigt das politische Momentum der Verquickung von Kunst, Symbolik, von Mythologie, Realpolitik und Kommunikationswesen
Als vergangene Woche Sebastian Kurz nach dem Rücktritt von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner seine Vorstellungen, Bedingungen und Visionen für die Zukunft präsentierte, war die Kulisse, vor der er sprach, bewusst gewählt. Aus mehrfachem Grund: Einerseits signalisierte der marmorne Adolf-Mock-Saal mit den einzigartigen Deckenfresken von Leopold Kupelwieser Traditionsbewusstsein, andererseits war der historisch bedeutungsschwangere, mit EU-Fahne geschmückte Ort natürlich ein Versprechen an die Zukunft. Dort, wo heute das Außenamt der Republik Österreich residiert, befand sich einst die Niederösterreichische Statthalterei in Wien. Wer sich im Detail mit der Geschichte des Gebäudes und dessen Kunst auseinandersetzen will, dem sei Sigrid Eyb-Greens Monografie Das zusammengedrängte Gedenken ans Herz gelegt.
Zweifellos zählen Kupelwiesers Deckenfresken in der ehemaligen Niederösterreichischen Statthalterei zu den bedeutendsten patriotischen Geschichtszyklen – Herrschern, Schlachten und Staatsakten huldigend. Eyb-Green setzt sich differenziert mit inhaltlichen Komplexen, künstlerischen Aspekten und bewusst betriebener Geschichtsrezeption auseinander.
Die Betrachtung von Eyb-Green kann aber auch abseits der Gemäldebeschreibung als Glücksfall bezeichnet werden, denn gerade der interdisziplinäre Zugang der Historikerin zeigt eindeutig das politische Momentum der Verquickung von Kunst, Symbolik, von Mythologie, Realpolitik und Kommunikationswesen.
Stichwort Inszenierung: Dass sich der amtierende Außenminister und designierte Parteichef direkt unter den allegorischen Figurinen der Kraft und der Wahrheit positionierte, war mit Sicherheit kein Zufall.
(Gregor Auenhammer, Rezension im Standard vom 18. Mai 2017, S. 31)
https://www.derstandard.at/story/2000057802570/topografie-des-erinnerns
Werner Telesko: [Rezension]
Eyb-Green geht in ihrer umfangreichen Arbeit zu der zwischen 1848 und 1850 von Leopold Kupelwieser durchgeführten Ausmalung des „Marmorsaals“ (großer Sitzungssaal) in der ehemaligen Niederösterreichischen Statthalterei in Wien mehreren Fragestellungen nach – zum einen dem bereits von der Forschung mehrmals behandelten Problem der thematischen Ausrichtung dieses Zyklus, zum zweiten der Funktion der Ausstattung im Sinne eines politischen Propagandainstruments und schließlich den technischen Facetten des Zyklus und seiner Entwürfe.
Die historische Ausnahmestellung der vielleicht über Hofkammerpräsident Karl Friedrich Freiherr von Kübau beauftragten Ausmalung, welche die österreichische Geschichte in einer beachtlichen Breite von der Römerzeit bis in das frühe 19. Jahrhundert detailreich abhandelt, wurde von der Literatur bereits betont – besonders auch angesichts des Umstands, dass im Gegensatz zur Situation in Deutschland die österreichische Geschichtsmalerei ein Schattendasein fristete. Umso aufschlussreicher ist die reiche schriftliche und bildliche Quellenlage zu Kupelwiesers Zyklus, da neben den Programmentwürfen auch die Kartons in den Beständen des Niederösterreichischen Landesmuseums und einige Aquarellentwürfe überliefert sind. Eyb-Green bringt neues Licht in die Entstehungsgeschichte mit einer detaillierten Analyse der drei überlieferten Programmentwürfe, die von einem umfangreichen schriftlichen Konzept über einen zweiten Gesamtentwurf (als Entwurfszeichnung) bis zu einer dritten Konzeptstufe reichen, die einige Abweichungen zum zweiten Konzept zeigt.
Von der Struktur her offenbart Kupelwiesers Ausstattung ein recht einfaches Schema, das die zentrale Darstellung der „Austria“ und der „Religion“ von feldartigen Darstellungen umgeben zeigt. Daran schließen sich an allen Seiten rauten- und zwickelförmige Bilder sowie Darstellungen in den Stichkappen an, wobei inhaltlich eine paarweise Systematisierung zu konstatieren ist (zwei Rechtsszenen, zwei Bündnisszenen, zwei Belehnungen und zwei Verteidigungsszenen). Dies unterstreicht das in der Geschichtsmalerei allenthalben anzutreffende Strukturprinzip, die Fülle von unterschiedlichen Ereignissen nach bestimmten Kategorien zu ordnen. Ob daraus, wie Eyb-Green recht allgemein festhält, ein „Spannungsfeld zwischen Rückprojektion von Sehnsüchten in eine ideal konstruierte Vergangenheit und einem Bekenntnis zur Gegenwart, zwischen den Ideen des gottgegebenen Kaisertums und der modernen bürgerlichen Mitbestimmung“ (S. 45) abgeleitet werden kann, darf allerdings bezweifelt werden. Kupelwiesers politischer Einstellung scheint eher der gegenrevolutionäre Charakter zahlreicher Darstellungen zu entsprechen, der im ersten Programmentwurf geschickt mit dem emphatischen Bekenntnis verkauft wurde, „dass in Österreich zu allen Zeiten jede Regenten-Tugend in ihrer schönsten Entfaltung durch den Herrscher geübt wurde“ (S. 45). In besonderer Weise wird hier also der Doppelaspekt von historischem Ereignis und dessen Verwertbarkeit im Sinne von Tugendallegorien unterstrichen.
Beachtlich ist bei Kupelwiesers Ausmalung vor allem die gewaltige zeitliche Spannweite, die ausgemessen wird: Sie reicht von Kaiser Marc Aurel, Odoaker, Karl dem Großen zur Erstürmung Melks durch Leopold I., die Belehnung Leopolds mit der Ostmark durch Otto II. (983), ehe die drei Erbauer von St. Stephan in Wien (Heinrich II. Jasomirgott, Rudolf IV. und Kaiser Friedrich III.) wiedergegeben werden. Als weitere Szenen aus der mittelalterlichen Geschichte fungieren die Episoden, wie Rudolf I. die Lehen an Albrecht I. (1287) verleiht und Herzog Leopold VI. der Glorreiche im Jahr 1200 in Tulln zu Gericht sitzt. Daran schließt sich die Gründung der Wiener Universität durch Herzog Rudolf IV. an. Über die Einsetzung der Regierung der niederösterreichischen Länder durch Ferdinand I. (1540) verläuft die Ereigniskette zu einer verdichteten Wiedergabe der Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697. Mit den Aufgeboten von 1797, Erzherzog Carl in der Schlacht bei Aspern (1809) und dem Wiener Kongress (Kaiser Franz I., Zar Alexander I. und König Friedrich Wilhelm III.) gelangt der reiche Bogen der Ereignisse im frühen 19. Jahrhundert zu seinem Abschluss.
Die Stichkappen zeichnen sich in besonderer Weise durch die Kombination von acht habsburgischen Herrscherfiguren (hier vor allem Maria Theresia, Joseph II., Ferdinand I. und Franz Joseph I.) mit den als dazu passend angesehenen Tugenden aus, die das Motivrepertoire der Tugenden in der „Iconologia“ Cesare Ripas doch deutlicher variieren, als Eyb-Green meint (S. 143). Nicht ohne Grund wird gerade die Darstellung des jungen Franz Joseph (mit den Personifikationen von „Kraft“ und „Wahrheit“) an einer Schmalseite genau zwischen den Türkenkriegen und der Schlacht von Aspern platziert, wodurch der aktuelle Akzent des Sieges über die Revolution des Jahres 1848 durch den Sieg über feindliche Armeen historisch verankert und gleichsam präfiguriert erscheint. Der Tugendaspekt ist hier kein akzidentieller, sondern eng mit der zentralen Intention verbunden, wird doch auch die gekrönte „Austria“ im Deckenspiegel von der Versammlung von Tugenden umringt. Die von Kupelwieser wiedergegebenen Ereignisse aus der österreichischen Geschichte stellen somit die Ebene der historischen Grundlagen dar, auf die sich die Personifikationen des Deckenspiegels und der Stichkappen beziehen. Eine ähnliche Sichtweise kann auch in Joseph Freiherr von Hormayrs Werken, die eine wichtige Anregung für Kupelwieser darstellen, nachgewiesen werden.
In einem eigenen Kapitel (S. 47–166) geht Eyb-Green detailliert auf die ikonografischen Formulierungen, Quellen und Intentionen der einzelnen Lösungen Kupelwiesers ein. Besonders bei der Darstellung der „Austria“ zeigt sich die Akribie des Malers in der Suche nach der endgültigen Findung der Form. Bei vielen historischen Szenen bemühte sich der Maler offensichtlich, den aktuellen Wissensstand seiner Zeit in Bezug auf Kleidung und Realien zu berücksichtigen. Daneben konnte er auch auf Darstellungen anderer Künstler (Karl Ruß) sowie historische Kompendien (Anton Ziegler, Franz Ziska) zurückgreifen. Nur wenige Szenen (Belehnung Leopolds mit der Ostmark, Leopolds Gericht in Tulln, Einsetzung der Regierung der niederösterreichischen Länder durch Ferdinand I.) sind nicht Teil des überlieferten Bildkanons der Geschichtsmalerei. Eyb-Green behalf sich in diesen Fällen mit zeitgenössischer historiografischer Literatur sowie der These der Adaption von Bildformeln von Nazarenern (Julius Schnorr von Carolsfeld) durch Kupelwieser. Die Forschung wird der Autorin für diese minutiöse Herleitung der einzelnen Sujets dankbar sein, weil sie einen umfassenden Einblick in die textlichen wie bildlichen Repertoires gibt, die der Geschichtsmalerei in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zur Verfügung standen. Mit einem umfassenden Kapitel zu materialtechnologischen Aspekten (S. 215–293) schließt das Buch ab.
Kupelwiesers Ausmalung des „Marmorsaals“ der Statthalterei zeigt nicht nur eine bis zur „Ruhmeshalle“ des Wiener Arsenals unbekannte Monumentalisierung des Gedenkens an die eigene Geschichte. Sie fällt zudem zeitlich genau in die Periode, in der Kupelwieser das offensichtliche Defizit an öffentlicher Geschichtsmalerei zum Anlass nahm, um zu Bau und Ausstattung einer „Geschichtshalle“ (mit einer Gesamtdarstellung des Kaiserreiches) zwischen Hofburg und Burgtor anzuregen. Kupelwieser ist in dieser Hinsicht nicht nur ein versierter Praktiker, der Konzepte selbständig umzusetzen vermochte, sondern ebenso ein Mahner, der – wie später der Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger von Edelberg (1817–1885) – den Finger in die Wunde mangelnder Präsenz österreichischer Geschichte im öffentlichen Raum legte.
(Werner Telesko, Rezension in: MIÖG. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung #125, 2017, S. 255 ff.)