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Café Athen

Erzählungen

Johannes Leismüller, Andrea Welker
edition münchen

ISBN: 978-3-85252-439-9
21 x 15 cm, 124 S.
15,00 €
Lieferbar

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Kurzbeschreibung

[Hrsg. von Andrea Welker]


Der Aufenthalt im Bahnhof von Thessalonike dauerte lange genug, daß man den Zug verlassen, in die Bahnhofshalle gehen, am Kiosk Zigaretten und eine Zeitung holen konnte. Über den leeren Gleisen lag ein Hitzeflimmer, den der Herr im grauen Anzug – Monsieur Maurice – bemerkte, als ihm die unter den Arm geklemmte Zeitung herunterfiel. Er öffnete die frisch gekaufte Packung Zigaretten, steckte sich eine an und bückte sich dann erst nach der Zeitung. Die Diesellok vom Akropolis-Express war noch nicht ausgetauscht worden, doch sah man in der Ferne eine andere rangieren. Sie würde es wohl sein, die den Zug bis nach Athen zog, passierte ihr nicht das gleiche wie der anderen, die auf dem Weg von der griechischen Grenze hierher, kurz vor Thessalonike, einen Motorschaden bekommen hatte.

Der Defekt war aufgefallen, als der Zug nur noch kroch und die Maschine wie eine alte Dampflokomotive qualmte. Monsieur Maurice dachte an Belgrad und wie dort mit Dampflokomotiven rangiert wurde, hing es noch mit dem Embargo zusammen, dem Mangel an flüssigem Treibstoff? Gerade war die Fahrt mit der Eisenbahn wieder über Zagreb, Belgrad, Skopje nach Thessalonike möglich geworden. Krieg, er mochte nicht daran denken, war wieder in Europa gewesen, die Erinnerungen an die Dampflokomotiven gegen Kriegsende waren noch lebendig, als Hitler in Deutschland alle Autos auf Holzvergaser umrüsten ließ, hätte er da zuletzt auch noch den deutschen Wald verheizen lassen? Die Deutschen ohne ihren Wald?

Nein, er konnte diesem Erinnern nicht entkommen. Die langen Bahnfahrten erweckten diese melancholischen Tiefen, das Nachdenken in untätiger Fortbewegung, die Autofahrer waren mehr mit dem Geschehen auf den Straßen beschäftigt. Beim Einsteigen in Paris an der Gare de l’Est fing dieses Erinnern an, das große Denkmal im Bahnhofsgebäude für die nach Osten Deportierten, ob hier in Thessalonike so ein Denkmal am Bahnhof ist, für die vielen Güterzüge mit Menschen nach Norden? Nach Wien, Mauthausen und weiter? Wenn es eines gab, hatte er es bei seinem kurzen Aufenthalt nicht entdeckt. Bei seinen Reisen in den Jahren zuvor, war der Fahrplan so ausgelegt gewesen, daß sein Zug immer nachts kurze Station in Thessalonike machte.

Er hatte sein Bett im Schlafwagen nie verlassen. Er würde sich noch überlegen, ob er die Reise in dieser Form jemals wieder machen würde. Noch vor 1990 wurde der Paß in Jugoslawien einmal kontrolliert. Jetzt kam es zu mindestens vier Kontrollen, bei denen jedesmal mit aufwendigem Getue die Formalitäten zur Durchquerung eines neuen Staates zu erledigen waren. Der Riß und die stehengebliebene Uhr am Bahnhofsgebäude von Skopje erinnerten noch an das Erdbeben in den fünfziger Jahren und blieben lange die einzigen Zeichen von Zerstörung an dieser Strecke – heute verliefen die Risse quer durch Land und Leute.

Nächstes Mal, glaubte Monsieur Maurice, würde er von Paris nach Thessalonike fliegen und von hier aus mit dem Zug weiterfahren, oder vielleicht würde er direkt nach Athen fliegen, was sein gewohntes Reisekonzept völlig durcheinanderbringen würde. Die Diesellok war ausgewechselt, das wirre Hin und Her auf dem Bahnsteig regelte sich in Einsteigende und Zurückbleibende. Der neuen Lok entstieg eine schmale, gerade Rauchsäule, der Zug ruckte an …


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