Gramding
Prosa
Stephan Roiss
edition linzISBN: 978-3-99028-155-0
17 x 12 cm, 62 Seiten, Hardcover
€ 13,00 €
Momentan nicht lieferbar
Kurzbeschreibung
Geplant habe ich meine Reise so, wie gute Reisen geplant werden: gar nicht. Wohin zuerst? Keine Ahnung. Wohin dann? Egal. Datum der Rückkehr? Wer sagt, dass ich überhaupt zurückkomme. Nun, da das Ende meines Zivildienstes nahe ist und Natalie mich verlassen hat, hält mich nichts mehr hier und nichts mehr zurück.
Dachte ich mir.
Doch dann kam der Anruf. Mit einem Satz platzierte Natalie ein Damoklesschwert über mir: „Wolfgang, kann sein, dass wir ein Baby bekommen.“
Ich werde Vater.
Ich werde nicht Vater.
Ich werde Vater.
Ich werde nicht Vater.
Ich werde in einer Einbauküche stehen, um Schnuller auszukochen.
Ich werde um den Globus jagen und jeder Tag wird ein Abenteuer sein.
Ich werde –
Rezensionen
Bernhard Oberreither: Düster und komischAls Zivildiener kann man es sich normalerweise ganz gut einrichten: Man sucht sich rechtzeitig eine Dienststelle ungefähr nach dem eigenen Geschmack und weiß zumindest, was auf einen zukommt. Wolfgang hingegen hat, wie er das selbst ganz richtig benennt, die Arschkarte gezogen. Deshalb sitzt er jetzt nicht wie geplant bei den Kinderfreunden in Linz, sondern in Gramding. Gramding, das ist in Stephan Roiss' gleichnamiger Erzählung ein fiktives Altersheim, in dem die für das Thema erwartbar unerfreuliche Gemengelage aus Vereinsamung, Siechtum und – auf Seiten des Personals – Abstumpfung herrscht. Als wäre es nicht genug, plötzlich ein Teil dieses unseligen Räderwerks zu sein und so regelmäßig mit Tod und Fäkalien in Berührung zu kommen, meldet sich die Exfreundin: Sie sei vermutlich schwanger. Wolfgang sieht schwarz für seine Pläne, nach dem Zivildienst auf Weltreise zu gehen, ebenso für sein restliches Leben, und sucht Zuflucht in Alkohol und Lyrik.
Bemerkt man jetzt noch, wie „Gramding“ mit seinen Themen den Nerv der Zeit trifft – Zivil- bzw. Wehrdienst, Versorgung im Alter –, ist damit insgesamt eine eher riskante literarische Ausgangslage gegeben: Was soll aus all dem, zusammengerechnet, werden? Gefühlskrimskrams? Betroffenheitskitsch? Bloß ein „aktuelles“ Buch?
„Gramding“ ist in dieser Hinsicht zweifellos eine angenehme Überraschung. Es ist hin und wieder pathetisch, ein bisschen sentimental (das lässt sich wohl kaum vermeiden), aber es ist vor allem ausgesprochen witzig; dem manchmal etwas hohen Ton stehen Selbstironie und abgründiger Humor rettend zur Seite. Wenn der Zivildiener die Nerven verliert, bis er Zäpfchen in falsche Körperöffnungen einführt, oder wenn er sich von der Heimalkoholikerin bald widerspruchslos zum Mitsaufen überreden lässt (weil man es nüchtern sowieso nicht aushält), oder wenn er die absurden Sprach(-rest-)formen der Bewohner mit in den Feierabend nimmt – dann ist das schlimm, aber gleichzeitig hochkomisch.
„Gleichzeitig“ ist hier das Zauberwort: Bei allen Bemühungen um Unterhaltsamkeit (und diese Bemühungen sind zweifellos geglückt) verkommen die Leute, um die es geht, nie zu bloßen Effektlieferanten. Seinem Thema nähert sich der Erzähler eher unprätenziös, seine Aussparungen dienen nicht bloß (bzw. nicht immer) der lakonischen Pointe, sondern unterbinden jede klebrige Aufdringlichkeit gegenüber denen, die da vor ihm im Rollstuhl sitzen. Dass dem Zivildiener dabei immer sowohl zum Lachen als auch zum Schreien zumute ist, kann man gerade anhand der Lücken im Text gut nachvollziehen.
Für diese üble Zeit wählt Wolfgang einen Gedichtband von Gottfried Benn zum Notiz- und Tagebuch, wo er z.B. Einkaufslisten und kurze Erlebnisse zwischen die Gedichtzeilen drängt. Für den Aufeinanderprall von existenzieller Schwere, körperlicher Hinfälligkeit und Humor ist Benn natürlich ein guter Pate; vielleicht ist die Patenschaft auch etwas zu deutlich. Andererseits: Auf die so verzweifelten wie komischen Unterstreichungen des Protagonisten verzichtet man ungern.
Das einjährige Martyrium des Zivildieners absolviert der Leser bei Roiss im Schnelldurchlauf. (Tatsächlich muss man höllisch aufpassen, dass eine ausführliche Rezension nicht länger wird als das Buch selbst.) Dass der Eindruck, den man von diesem Jahr zurückbehält, dennoch so stark ist, ist der gut gewählten Form zuzuschreiben: Aus kurzen bis kürzesten Absätzen lässt Roiss ein gleichzeitig fragmentarisches und dichtes Bild entstehen. Dadurch, dass man so dem einen oder anderen Heimbewohner unvermittelt ein zweites und drittes Mal begegnet, entstehen Nebenhandlungen in Kleinstformat; außerdem wird deutlich, wie sehr der Protagonist einer von überall andrängender Flut von Biografien ausgesetzt ist.
Jeder Absatz ist bei Roiss auf einen kleinen Effekt hin komponiert; kaum einer, der nicht in einer Pointe endet oder sich in irgendeiner Weise selbst kommentiert. Da wird mitunter zielgenau die Phrase neben den poetischen Überschwang gesetzt, geblödelt und kalauert im Angesicht des Abgrunds. Zu den besten Passagen gehören die, bei denen die abgebrühten Alten das letzte Wort haben („Das Leben habe ich überstanden. So schlimm wird der Tod schon nicht werden.“) Während Roiss so auf sprachliche Effekte bedacht ist, schießt er zwar manchmal über das Ziel hinaus, die eine oder andere rhetorische Zuspitzung hätte man auslassen können. Das ändert aber längst nichts mehr daran, dass „Gramding“ ein sehr sympathisches und gewitztes Debüt ist. („Aktuell“ ist es natürlich auch.)
(Bernhard Oberreither, Rezension in: Literatur und Kritik #481/482, März 2014, S. 88)
Dominika Meindl: [Rezension zu: Stephan Roiss, „Gramding“]
Eine Minute, bevor das eigene Leben endlich anfangen soll, kommt die potenzielle Hiobsbotschaft. Wolfgang Wölfling will noch nicht Vater werden; er hat sich alles ganz anders angestellt, schon von vornherein: Nie hatte er seinen Zivildienst im Bezirksaltenheim (im „Urwald der Vernunft“) im treffend benannten Gramding ableisten wollen, es hätten die Kinderfreunde werden sollen. Und wenn schon das nicht, dann danach eine Weltreise, nein: eine Weltflucht. Bis dahin schreibt Wölfling seinen Gram zwischen die Zeilen eines Benn-Gedichtbands.
Zwar überwiegt sein Entsetzten über die Hinfälligkeit der von ihm zu Pflegenden, er nimmt trotzdem die poetische Seite ihrer unfreiwilligen Weltflucht (i.e. Demenz) wahr: „Frau Sageder, wie geht es Ihnen?“ … „Wie einem mittleren Hund. Ein leichter würde eingehen.“ … „Sitzen Sie gut?“ … „Ja, aber die eigentliche Frage ist: Bin ich da?“
Der Erzähler vermittelt über die soziale Anklage hinaus sprachlich und narrativ klug die Spannungen beim Kampf um Eigenständigkeit, den Junge wie Alte führen. Er oszilliert zwischen kaltem Selbstschutz und Empathie, zwischen Tragik und Komik. Das Altern und der damit einhergehende Kontrollverlust ist derzeit ein großes Thema in der Kunst. Roiss' Text stellt dazu einen wertvollen Beitrag dar und ist weit mehr als nachgetragene Jungmänner-Befindlichkeitsprosa zur Wehrpflichtsdebatte.
(Dominika Meindl, Rezension in: Kulturbericht Oberösterreich. Monatsschrift der Oö. Kultur, 67. Jahrgang 2013, Folge [?])
Werner Schandor: tollheiten, torsionen, tote
Stephan Roiss beschreibt ein Jahr Zivildienst in einem Altersheim
Gramding heißt das Prosadebüt des Oberösterreichers Stephan Roiss. Was ein gutes Wortspiel wäre – das Ding, das einen grämt –, ist der fiktive Name einer oberösterreichischen Bezirksstadt, in der Wolfgang, der Held des kurzen Textes, seinen Zivildienst in einem Altersheim absolviert. Beworben hat er sich um eine Stelle bei den Kinderfreunden, gelandet ist er dort, wo Menschen ihre letzte Runde vor dem Friedhof einlegen.
Wolfgangs idealistische Vorstellung, man würde beim Zivildienst im Altersheim viel Zeit mit alten Menschen verbringen, sich bei „Fang den Hut“ ihre Lebenserinnerungen anhören und en passant vielleicht sogar mit seiner eigenen, positiven Lebenseinstellung einen alten Nazi bekehren können, weicht schnell der Ernüchterung: Das Pflegepersonal ist mehr oder minder rund um die Uhr damit beschäftigt, inkontinente und demente alte Menschen sauber zu halten, zu füttern und daran zu hindern, dass sie Blödsinn machen. Mehr an Zuwendung ist rein zeitlich nicht drinnen – von der psychischen Belastung ganz abgesehen.
Um Geld zu sparen, wohnt Wolfgang selbst im Heim. Seine Gedanken und Erfahrungen notiert er im Weißraum von Gottfried Benns Sämtlichen Gedichten in einer gelbstichigen Ausgabe aus dem Jahr 1983. „Ich schlug das Buch auf, griff zum Kugelschreiber und schrieb unter ein Gedicht namens Betäubung das Wort Zivildienst. Den Vers ‚wo Lust und Leiche winkt‘ hob ich mit gelbem Stift hervor. Womöglich aufgrund seiner unsauberen Grammatik. Meine Hände rochen nach Desinfektionsmittel.“
Das Altersheim, wo laufend Leute sterben, wird gewissermaßen zum Prüfstein der Lebenstauglichkeit des jungen Mannes. Nicht nur, dass sich Wolfgang seine hehren Vorstellungen von menschenwürdiger Altersversorgung abschminken muss, macht ihm auch ein – in einem einzigen Satz abgehandeltes – Techtelmechtel mit der Nachtschwester einen Strich durch seine Beziehungsrechnung. Seine Freundin Natalie macht Schluss mit ihm, meldet sich aber nach drei Wochen wieder mit einer besorgniserregenden Nachricht, welche die nach dem Zivildienst geplante Weltreise schwer infrage stellt: Die Regel ist überfällig …
Stephan Roiss schildert das bewegte Jahr eines Zivildieners in Rückblenden, Tagebuchnotizen und Reflexionen, wobei dramaturgisch gewitzt immer das Damoklesschwert allzu früher Vaterfreuden über ihm schwebt. Wo andere Autoren die Begebenheiten und Überlegungen dieses lebensverändernden Zivildienstjahres auf 300 Seiten ausgewalzt hätten, begnügt sich Roiss mit nicht einmal 60. Sein Stil ist demnach – vielleicht der Lektüre der Benn-Gedichte geschuldet – eher lyrisch verknappt zu nennen. Das hat zwar seine Qualitäten, ist aber insgesamt schade, denn man würde dieser pointierten, intelligenten Erzählstimme, die so souverän die Ereignisse Revue passieren lässt, sehr gerne länger zuhören. Wolfgangs Erkenntnis nach zwölf Monaten ist jedenfalls ernüchternd: „… ich habe gelernt, dass ein Bewusstseinsstrom versickern kann und dass der Sitz der Seele ein Leibstuhl ist; ich sehe Haut reißen wie Papier, Rippen brechen wie Gräten, Tollheiten, Torsionen, Tote: Nichts davon fährt mir durch Mark und Bein wie das Abgestorbensein vor dem eigentlichen Ende.“
(Werner Schandor, Rezension in: Schreibkraft. Das Feuilletonmagazin #25, 2013)
Theresa Luise Gindlstrasser: [Rezension zu: Stephan Roiss, „Gramding“]
Im November 2012 erschien die Erzählung Gramding in der edition linz/Bibliothek der Provinz. Als Autor verantwortlich zeichnet Stephan Roiss, geboren 1983 in Linz. Neben seinem Studium der Kunstwissenschaft und Philosophie ist er tätig als Redaktionsleiter von FROzine, als Journalist (vor allem für freiStil, KAPUzine und Versorgerin) und Musiker (zum Beispiel mit Fang den Berg). Nach zwei Theatertexten ist dies nun das erste vorliegende Prosawerk von Roiss.
Der schöne Einband (Titelbild von Stephan Blumenschein) umfasst auf 60 kurzen Seiten die Geschichte eines Zivildienstes im BezirksseniorInnenheim Gramding. Der Protagonist Wolfgang («Sneakers, Melvins-T-Shirt, blau gefärbter Struwwelkopf») spricht in Retrospektive und zeichnet nebenbei ein Bild seiner sehr heutigen Jugend. Die Erzählung umfasst mehrere Ebenen. Neben den Tagebuchnotizen von Wolfgang, den Situationen des Zivildienstes und den Problematiken der Liebesbeziehung des Protagonisten auch Gedankenbilder von gekonntem Wortwitz. Diese überraschenden Wendungen werden oft durch eine wohl überlegte Formatierung betont. Thematisch vordergründig und wiederkehrend ist – natürlich – die Situation von Menschen, die im Alter, im Gebrechen zu einem bloßen Faktor im Pflegebetrieb werden. Wolfgang fällt als Zivildiener in ein voll funktionsfähiges und völlig unmenschliches System ein. Er lernt Fachjargon, Betrieb und den Tod als «das Normalste von der Welt» kennen. Aber, nichts «davon fährt mir durch Mark und Bein wie das Abgestorbensein vor dem eigentlichen Ende. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.» Ein Satz zum Unterstreichen.
Sofort und eindringlich ist eine Beziehung zwischen Lesenden und Erzählendem etabliert. Manchmal über die Verständigung der Zugehörigkeit zur vermeintlich selben Subkultur (etwa wenn Wolfgang ein Fuckhead T-Shirt trägt und Frau Tumfart Probleme mit der Aussprache dieses fremdartigen Wortes hat), meistens aber über die sehr melodiöse Schreibweise. Jeder Absatz ein Atemzug, im Ohr erst erklingen die Feinheiten der Wortwahl.
Stephan Roiss hat mit Gramding einen wohlkonstruierten und wohlklingenden Erzählband vorgelegt. Das Buch ist über den Verlag, im ausgewählten Buchhandel und unter stephanroiss.at zu haben. Dort finden sich auch Informationen zu weiteren Projekten des Autors und Hinweise auf Lesungen.
(Theresa Luise Gindlstrasser, Rezension in der KUPFZeitung #145, März/Mai 2013)