Schande, Folter, Hinrichtung
Forschungen zu Rechtsprechung und Strafvollzug in Oberösterreich
Ute Streitt, Gernot Kocher , Elisabeth Schiller
ISBN: 978-3-901862-30-4
27×21 cm, 600 Seiten, zahlr. Abb.: vierf., graph. Darst., Kt., Hardcover + Beilage: 1 DVD
€ 69,00 €
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Kurzbeschreibung
Die Entwicklung der Rechtsprechung und des Strafvollzugs, von Tatort, Tätersuche und Beweisaufnahme über das prozessuale Verfahren (Folter, Verhandlung) und den Strafvollzug mittels Ehr- und Schandstrafen sowie schweren Körperstrafen (Brandmarken, Abtrennen von Körpergliedmaßen, Hinrichtung) bis zu den örtlichen und sprachlichen Spuren dieser Geschichte in der Gegenwart.
[Ute Streitt, Gernot Kocher, Elisabeth Schiller (Hg.) |
Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich, Folge 30]
Rezensionen
Gerald Kohl: [Rezension]„Es gibt Themenkreise, denen sich auch ein Museum – das ja angeblich vornehmlich mit den ‚schönen‘ Relikten der Vergangenheit befasst ist – nur zögernd, mit viel Vorsicht und letztlich schweren Herzens zuwendet, gehören sie doch aus heutiger Sicht der Nachtseite unserer Kulturgeschichte an. Zu diesen zählen über weite Strecken zweifellos die Rechtsgeschichte, und innerhalb dieser die Geschichte der Rechtsfindung, -sprechung und des daraus resultierenden Strafvollzuges.“ Mit diesen Zeilen stimmt das Geleitwort den Leser auf das vermeintliche Grauen ein, das ihn bei der Lektüre dieses schon durch Format und Umfang gewichtigen Bandes erwartet. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird durch einen überaus reichen Inhalt belohnt, dessen Bandbreite hier kaum angemessen dargestellt werden kann. Sie resultiert nicht zuletzt aus dem Konzept des titelgebundenen Projekts, das nicht nur von ausgewiesenen Experten betrieben wurde, sondern in das auch viele engagierte Heimatforscher ohne „spezifische Vorkenntnisse“ (S. 9) eingebunden waren. Für deren Anleitung und Unterstützung konnte ein knappes Dutzend Kooperationspartner gewonnen werden. Primäres Ziel des 2005 begonnenen und weiterhin laufenden Projektes war und ist es, die in und außerhalb von Museen vorhandenen Rechtsaltertümer Oberösterreichs zu sichten und zu verzeichnen, was in vier Arbeitsgruppen („Objekt im Museum“, „Feldforschung“, „Archivarbeit“ und „Literaturrecherche“) geschah. Der hier zu besprechende Studienband und die ergänzende DVD bilden also ein – beachtliches – Zwischenergebnis.
Die von 18 Autorinnen und Autoren verfassten 47 Beiträge des Buches sind in vier große Abschnitte eingeordnet. Der erste (S. 9–103) widmet sich unmittelbar dem Projekt „Schande, Folter, Hinrichtung“ und enthält Aufsätze zu dessen Geschichte und Konzeption (Streitt, Geyer), zur Strafrechtsgeschichte in Österreich (Kocher), zur rechtlichen Volkskunde in Oberösterreich (Steininger) und zur Bedeutung von Kleindenkmälern (Heilingbrunner, Leitner), weiters einen Überblick über die Hexenprozesse in Oberösterreich (Scheutz) sowie die Analyse eines konkreten Strafprozesses aus dem Jahr 1727 (Leutgeb). Im zweiten Abschnitt, „Landgerichtliches“ (S. 105–200), eingeleitet durch einen allgemeinen Aufsatz zur Landgerichtsbarkeit (Kocher), stellen drei Autoren (Mayböck, Martin, Richter) in zehn Beiträgen einzelne Landgerichte vor oder beleuchten bestimmte Teilaspekte wie Kosten und Funktionen. Der umfangreiche dritte Abschnitt (S. 201–452) erlaubt dem Leser Einblicke in die „Werkstatt der Heimatforscher“: 25 Beiträge widmen sich, geographisch geordnet (und vielfach durch Kartenausschnitte „verortet“), teils einzelnen Fällen oder Delikten, teils rechtshistorisch bemerkenswerten Realien. Gegenstand des vierten Abschnitts (S. 453–569) sind schließlich die oberösterreichischen Landesmuseen, wobei insbesondere Geschichte und Bestand der Sammlung „Rechtsaltertümer“ dargestellt werden, letzteres durchwegs illustriert. Ein Glossar, Angaben zu Maß-, Gewichts- und Geldeinheiten, ein Gesamtliteratur-, ein Quellen- und ein Abkürzungsverzeichnis sowie Kurzbiographien der Autoren beschließen das Buch.
Die DVD enthält, wie die „redaktionelle Vorbemerkung“ (S. 7) erläutert, umfangreiche ergänzende Materialien wie insbesondere Fotodateien von Archivalien (ca. 1500 S.), Transkriptionen, redaktionell nicht bearbeitete Artikel „mit spezieller Themenstellung“ (1430 S.), ein weiteres Glossar mit Belegen (1349 S.) sowie eine „umfangreiche Bibliographie“ (154 S.). Insgesamt ist die Fülle des Materials überwältigend; sie provoziert Neugier, setzt sie aber auch voraus, wenn man sich im Dschungel der Dateien (insbesondere des „Anhangs“) zurechtfinden will. Hier wäre eine bessere Verknüpfung von Bestandverzeichnissen, Dateiverzeichnissen und konkreten Bilddateien wünschenswert gewesen. Die Qualität der Artikel ist naturgemäß höchst unterschiedlich; manches könnte von Fachwissenschaftlern nicht besser geschrieben sein, anderes erreicht kaum das Niveau einer Seminararbeit. Spezielle Erwähnung erfordert in diesem Zusammenhang die „Bibliographie“ wegen des in diesem Begriff enthaltenen Anspruchs. Tatsächlich handelt es sich dabei nämlich bloß um eine Sammlung von Literaturhinweisen, die hinter dem „Gesamtliteraturverzeichnis“ des Buches zurückbleibt und bibliographischen Anforderungen nicht gerecht wird. Schon bei oberflächlichster Durchsicht fallen zahlreiche Fehler auf: Das „Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte“ ist mangelhaft zitiert, von Conrads „Deutsche(r) Rechtsgeschichte“ nur Band I verzeichnet, dieser dafür zweimal; von Hellblings „Österreichische(r) Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte“ fehlt die zweite Auflage, Rüpings „Grundriß der Strafrechtsgeschichte“ überhaupt, ebenso jeglicher Nachweis einer Arbeit Wilhelm Brauneders. Fragwürdig erscheint es auch, im Abschnitt „lokale Rechtsgeschichte“ zu Johann Georg Grasel zwar einen Artikel Roland Girtlers in „Krone Bund 2006“ (übrigens ohne genauere Angabe!) anzuführen, nicht aber die aus den Archivalien gearbeitete Monographie von Bartsch oder einen der von Hitz herausgegebenen Bände. Im Zeitalter des Internet hätte hier wesentlich Besseres geliefert werden müssen, erst recht in Anbetracht der irreführenden Selbstetikettierung als „Bibliographie“. Ein juristisch merkwürdiger Warnhinweis – „Es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit“ – kann dies nicht relativieren!
Buch und DVD gemeinsam machen wissenschaftsgeschichtlich bemerkenswerte Phänomene sichtbar. Einerseits zeigt sich wieder einmal, dass die schon im Geleitwort als „Nachtseite unserer Kulturgeschichte“ apostrophierte „Rechtsgeschichte“ mit Strafrechtsgeschichte gleichgesetzt wird. Diese Identifikation liegt schon der Anknüpfung an die „rechtshistorische Sammlung“ (S.9) des Landesmuseums zugrunde; sie findet sich auch im Untertitel, der Forschungen u.a. zur „Rechtssprechung“ verspricht, die nur durch das weitere Thema „Strafvollzug“ im Sinne der Strafrechtsprechung definiert erscheint. Zwar durchbricht der Beitrag „17 Jahre Streit um ein Fass Heringe“ (Fellner) diese Beschränkung, was in der ersten Fußnote eigens gerechtfertigt wird (S. 279), auch verschweigen die transkribierten Bestandverzeichnisse andere Teilgebiete keineswegs, doch im Allgemeinen spielt Privatrechtsgeschichte keine Rolle, ohne dass dies speziell thematisiert würde. „Forschungen zur Strafrechtspflege in Oberösterreich“ wäre demnach ein passenderer Untertitel gewesen.
Andererseits waren an diesem Projekt, abgesehen vom Grazer Emeritus Gernot Kocher, keine Rechtshistoriker im engeren Sinn beteiligt, und auch „gewöhnliche“ Juristen sucht man unter den Autoren vergebens. Darin spiegelt sich die Zurückdrängung des Faches Rechtsgeschichte an den Universitäten; zugleich wird aber ein weiterhin bestehendes Bedürfnis nach einer mit der Landeskunde zusammenarbeitenden Rechtsgeschichte sichtbar. Nicht nur infolge personeller Ressourcenverknappung, sondern auch angesichts von Tendenzen, eine „österreichische Rechtsgeschichte“ als provinziell abzuqualifizieren und die Europäisierung oder Globalisierung des Faches zu propagieren, wird die universitäre Rechtsgeschichte Anforderungen, wie sie dieses Projekt mit sich bringt, immer weniger gerecht werden können. Es bleibt aber fraglich, ob „historische Neugier“ (S. 9) und ehrenamtliches Engagement, so „spannend“ und befruchtend sie auch sein mögen, genügen, um jene Lücken zu schließen, die aus der Einsparung universitärer Fachexpertise resultieren: Das vorliegende Werk lässt zwar die Grenzen eines solchen Konzepts erkennen, dessen ungeachtet ist es aber zweifellos ein wertvoller Beitrag zur österreichischen Strafrechtsgeschichte.
(Gerald Kohl, Rezension in: MIÖG. Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 121, 2013, S. 213 ff.)
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Die Linzer Eisenbahnbrücke
Die Linzer Eisenbahnbrücke 1900 bis 2016
Technik. – Gesammelte Aspekte des Fortschritts