
So haben wir uns halt durchgeschlagen
Frauen und Männer aus Purkersdorf erzählen aus ihrem Leben
Rupert Herzog-Löw
ISBN: 978-3-85252-490-0
21 x 15 cm, 146 S., Ill.
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Kurzbeschreibung
»Ich konnte mir die Straßenbahn nicht leisten« (Erwin Czernoch, geboren 1923, gestorben 2003.)
Seit 1928 lebe ich in Purkersdorf, in der Wientalstraße 54, Postsiedlung. 1946 habe ich geheiratet. 1971 ist meine Frau gestorben. Über meine Tochter habe ich dann meine zweite Frau kennen gelernt. Sie hat den Sohn von meiner zweiten Frau geheiratet. Mit ihr habe ich 25 Jahre zusammengelebt, seit 1997 sind wir verheiratet.
Und Fußball. Unsere Kinder, die haben wenigstens den Schulautobus. Die haben heute schon viele Möglichkeiten. Jeder hat einen Computer zum Spielen. Ich habe mit den Zehen gespielt. Und Fußball. Den ganzen Tag. Im Winter Schifahren. Da hat's noch keine Overalls gegeben, so wie heute. Gestrickte Strümpfe. Da ist das Eis auf den Strümpfen gehangen. Wir sind nicht krank geworden. Wir sind immer noch gesund. Weil wir immer Arbeit haben. Heute haben alle Kinder Kabelfernsehen. Wir haben nicht einmal ein Radio gehabt. Später haben wir einen Volksempfänger gehabt. Mit dem haben wir immer gespielt, daran herumgedreht.
Der Vater. Mein Vater hat im Ersten Weltkrieg einrücken müssen. Er ist Oberleutnant gewesen, bei den Deutschmeistern. Nach dem Krieg hat er gesagt: »Nein, ich gehe nicht mehr zurück.« Er hat so viel gesehen, im Krieg. Nach dem Krieg ist dann die Arbeitslosigkeit gekommen. Er ist dagestanden ohne Posten. Später hat er einen Posten gekriegt: Er war im Diana-Bad Maniküre und Pediküre. Bis 1955. Da ist er gestorben.
Die Mutter: nach dem Hitler »Halb Jüdin« Meine Mutter hat eine »Singer« Nähmaschinenfiliale in Wien gehabt. Hat alles verkauft: die Wohnung, die Filiale. Und dann haben wir das Haus da gekauft, im 28er-Jahr. Wir sind herausgezogen und es war gerade so ein strenger Winter: minus 20, 25 Grad. Meine Mutter war nach dem Hitler eine »Halbjüdin«. Ihr Vater war Jude. Sie ist nach England geflüchtet. Ausgewandert ist sie mit einer Nichte. Die ist in England geblieben. Die ist auch schon über 80. Mit der haben wir noch Verbindung. Meine Mutter hat in England einen schönen Posten gekriegt in einem Chester-Hotel, ein großes Hotel. Da war sie Kindertante.
Seelisch getroffen. Während des Krieges haben wir keine Verbindung mit ihr gehabt. Das war sehr schwer für mich. Der Vater hat sich dann eine Freundin genommen. Im 45er-Jahr hat die Mutter geschrieben oder telegrafiert. Im 46er-Jahr ist sie wieder zurückgekommen. 16 Kilo Saccharin hat sie mitgebracht. Sie ist auch 1955 gestorben, ein drei viertel Jahr nach dem Vater. Sie sind nicht alt geworden. Mein Vater ist mit 60 gestorben, die Mutter mit 58. Sie waren durch den Krieg seelisch ein bisschen getroffen. Dadurch, dass sie getrennt waren.
Sängerknabe. Ich habe die Volksschule Purkersdorf besucht. Mein Vater hat Beziehungen gehabt nach Heiligenkreuz. Ich habe die Aufnahmeprüfung zu den Sängerknaben gemacht. Aber nicht in Heiligenkreuz, da war mein Bruder. Dort haben sie keinen Platz mehr gehabt. Ich bin mit zehn Jahren nach Klosterneuburg gekommen, als Sängerknabe. Ich war dort vier Jahre lang. Dann hatte ich den Stimmwechsel. Lehre Im 38er-Jahr bin ich nicht mehr ins Kloster gegangen. Ich bin nach Wien ins Gymnasium gekommen, habe nicht gut gelernt und bin geflogen, in Griechisch und Latein. Mein Vater hat gesagt: »Na, musst was lernen.« Also habe ich eine Lehre angefangen. Im dritten Bezirk. »Kolben-Kraus« hat der geheißen. Eine große Firma, die für Autos Kolben und Lager gemacht hat. Und alles, was zur Motoreninsrandsetzung gehört hat. Damals hat ja ein Motor nur 30.000, höchstens 50.000 Kilometer gehalten. Ich habe dann meine Gesellenprüfung gemacht.
Kein Geld für die Straßenbahn. Ich bin jeden Tag von hier mit dem Radi in den dritten Bezirk gefahren. Warum? Weil ich so wenig Geld hatte, dass ich mir die Straßenbahnfahrkarre nicht kaufen konnte. Ich habe drei Schilling fünfzig verdient in der Woche. Und die Wochenkarte hat vier Schilling gekostet. Mein Vater hat mir um 29 Schilling ein Fahrrad gekauft. Und das haben mir dann die Russen gestohlen. Der Bruder Alfred Mein Bruder, Alfred, war zwei Jahre älter. Er hat Matura gehabt und studiert. Er ist zur Gemeinde Wien gekommen. Die hat ihn dann zur Gemeinde Purkersdorf abgegeben. Hier war er Finanzdirektor, ich glaube bis 1983/84.
Urlaub mit hundert Schilling. Wie wir so fünfzehn, sechzehn Jahre alt waren, hat es sehr sehr viele Schwammerln gegeben. Da hat die Mutter gesagt: »So viele brauch ich nicht. Geht sie verkaufen.« Sind wir zu den Nachbarn gegangen und haben sie verkauft. Eh billig, um einen Schilling. Da haben wir hundert Schilling zusammengebracht. Mit den hundert Schilling sind wir mit dem Radi vierzehn Tage ins Salzkammergut gefahren. Überall waren wir: in Gmunden, am Attersee, am Schafberg. Zeitig in der Früh, um vier Uhr, sind wir aufgestanden. Auf den Schafberg rauf. Von unten sehen wir, dass da so viele Leute oben stehen. Sagen wir uns: »Das gibt's doch nicht, wir sind doch die Ersten.« Oben sind wir erst draufgekommen, dass die Zahnradbahn raufgeht …