Wolf im Katzenpelz
Satyresken
Ernst Reinhard Schöggl
ISBN: 978-3-85252-923-3
21 x 15 cm, 88 S., Ill.
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Kurzbeschreibung
Die Frau des Bürgermeisters
Die Frau des Bürgermeisters war im Ort die Frau Bürgermeister. Sie hatte stets Hosen an, außer in der Faschingszeit. Wenn sie auf dem Feuerwehr-, Jäger-, Musiker- und Polizeiball repräsentierte, trug sie ein langes Abendkleid. Der Herr Bürgermeister ließ die Hosen gerne runter, bei schönen Frauen, so hieß es im Ort an den Stammtischen hinter vorgehaltener Hand. Aber sonst war die Ehe aufrecht, wenigstens in der Öffentlichkeit, und das Privatleben ist eben privat, auch bei einem Bürgermeisterpaar. Eines Tages, es war der Aschermittwoch, tauchte die Frau Bürgermeister beim Postenkommandanten des Ortes zu einem Vieraugengespräch auf. "Du musst mir helfen", sagte sie, "ich werde bedroht, jemand trachtet mir nach dem Leben." Der Postenkommandant Hugo Dreher, ein guter Bekannter des Ehepaares, schaute sie ungläubig an. "Wer soll dich bedrohen, Eva? Und vor allem, wie?"
"Eine Stimme am Telefon." "Männlich oder weiblich?" "Das weiß ich nicht. Sie ist stark verzerrt." "Und was sagt die Stimme?" "Dass ich mich auf mein Ende vorbereiten soll, dass ich meine letzten STunden noch sinnvoll nutzen soll." "Und warum sollst du sterben?" "Es gibt keine Begründung, nichts." "Wann und wie oft kommen die Anrufe?" "Fast täglich, zu verschiedenen Tageszeiten, aber immer, wenn mein Mann nicht zu Hause ist." "Hast du einen Verdacht?" "Nein, überhaupt nicht." "Das wird irgendein Verrückter sein, nimm es nicht ernst!" Frau Bürgermeister wurde jetzt böse, weshalb der Postenkommandant versprach, eine Telefonüberwachung zu beantragen, was allerdings ein paar Tage dauern könne.
Nach eben diesen paar Tagen meldete Eva sich bei der Polizei: "Du kannst dir die Telefonüberwachung sparen, er ruft nicht mehr an" "Na Gott sei Dank!", sagte Hugo Dreher. "Dafür bedroht er mich jetzt schriftlich", fuhr Eva fort, "per E-Mail." Hugo schluckte, sodass man es durchs Telefon hören konnte. "Ich sage dir ja, ein Verrückter! Aber da können wir nicht viel tun. Von wo E-Mails versendet werden, kann man meist nicht nachvollziehen. Was schreibt er denn?" "Dass es nicht mehr lange dauert", sagte Eva. In seiner Verlegenheit riet Hugo der Frau Bürgermeister, sie solle vielleicht für ein paar Tage zu Bekannten verreisen, an einen sicheren Ort.
Zwei Tage später meldete sie sich wieder: "Jetzt verfolgt er mich!" "Er?" "Oder sie, was weiß ich, eine dunkle Gestalt schleicht um mich herum!" "Ich beantrage, dass du ab sofort überwacht wirst, versprach Hugo, "geh solange nicht aus dem Haus und sperr dich ein, wenn dein Mann nicht daheim ist!" "Danke", sagte Eva hörbar erleichtert, "ich drehe nämlich sonst bald durch."
Als Hugo am nächsten Tag bei Evas Wohnung klingelte, war es nicht wegen der Überwachung. Er hatte ihr eine andere, eine furchtbare Nachricht zu überbringen. Stefan, ihr Mann, hatte mit dem Auto einen schrecklichen Unfall gehabt und war mit hoher Geschwindigkeit in einen Baum gerast. Der Tod war sofort eingetreten. Allem Anschein nach Bremsversagen. Eva erbleichte, taumelte, Hugo fing sie gerade noch auf. "Das hat mir gegolten", stammelte sie, "Stefan hat ausnahmsweise meinen Wagen genommen, seiner steht in der Werkstatt." Hugo veranlasste sofort eine genaue Überprüfung des Unfallautos, es stellte sich heraus, dass wirklich die Bremsschläuche durchgeschnitten waren. "Offensichtlich ein Anschlag, der dir gegolten hat", sagte Hugo der nun ehemaligen Frau Bürgermeister sehr ernst, "du sollst jetzt wirklich verreisen." Eva versprach dies zu tun, allerdings erst nach der Beerdigung des nun ehemaligen Herrn Bürgermeister. "Bis dahin bekommst du Personenschutz", versprach Hugo erneut, "du kannst dich auf die Polizei verlassen." "Ich weiß", sagte Eva, "und grüß mir Beate!" Beate war Hugos Frau und eine langjährige Freundin Evas.
Die ehemalige Frau Bürgermeister war jetzt zufrieden, auch wenn sie auf den Schutz der Polizei gar nichts gab. Schließlich kannte sie Hugo lange genug und wusste, dass er im Grunde völlig unfähig war. Nur durch Beziehungen war er auf den Posten des Kommandanten gehievt worden, von Politikern, die genauso unfähig waren wie Hugo, ein ganzes Netzwerk an Unfähigkeit hatten sie errichtet, die Männer, die sich gegenseitig Posten und Titel zuschanzten, ohne zu merken, dass ihnen derweil die Weiber auf der Nase herumtanzten, diese Idioten! "Solidarität der Dummheit", nannte es Eva, und Beate hatte zufrieden gegrinst, als ihr diese den Weg aufgezeigt hatte, ihren Hugo zum Bürgermeister zu machen, wenigstens bis zur nächsten Wahl. "Wir werden dann viel mehr Zeit haben für unsere Liebe", hatte Eva gesagt, als sie den gemeinsamen Urlaub nach Lesbos gebucht hatten.
Aber zum Urlaub kam es nicht mehr. Denn Hugo hatten den Personenschutz mangels Personal gleich selbst übernommen und seine Aufgabe so ernst genommen, dass er sogar im Bett nicht von Evas Seite wich. Und irgendwie war Beate dahintergekommen und dann war Schluss mit lustig! Denn da gab es keine weibliche Solidarität mehr, Beate ließ Eva auffliegen, auch wenn sie fortan auf homo- und auf heterosexuelle Genüsse verzichten musste, weil Eva ins Gefängnis wanderte und der frischgebackene Herr Bürgermeister für sie keine Zeit mehr hatte. Aber immerhin war sie jetzt Frau Bürgermeister, wenigstens bis zum Ende der Amtsperiode.
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Clamlinde
Das Juvenat
Das Waldhaus
Der Strudengau – Auf Strindbergs Spuren
Die Sturmmühle
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