
Elfriede Mejchar – Fotografie
Elfriede Mejchar
ISBN: 978-3-99028-329-5
29,5×25 cm, 216 Seiten, zahlr. farb. u. S/W-Abb., Hardcover m. Schutzumschl.
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Kurzbeschreibung
Als Topografin von Kunstwerken hat Mejchar gelernt, nicht manipulativ zu fotografieren und sie hat verstanden, dass dies unmöglich ist. Sie hat die Jahrzehnte ihres Tuns dafür verwendet, das Paradoxon des objektiven Scheins der Fotografie zu überwinden und sich in ihrem Alterswerk zu einer radikalen Subjektivität zu bekennen, die auch zu verstören vermag. Diesem lebenslangen Ringen Mejchars um das richtige Abbild der Wirklichkeit verdanken wir ein fast unüberschaubares Œuvre, das neben vielem anderen auch eines ist: ein visuelles Inventar der österreichischen Provinz und damit, zwangsläufig, auch der österreichischen Seele, wie es vergleichbar nur die Literatur aufgestellt hat, von Franz Innerhofer bis Josef Winkler, von Gernot Wolfgruber bis Thomas Bernhard, von Marlene Haushofer bis Marlene Streeruwitz.
(Peter Zawrel)
[Mit Beiträgen von Ruth Horak, Juliane Kücher, Petra Noll, Fritz Simak, Gerhard A. Stadler, Roswitha Straihammer, Peter Zawrel]
Rezensionen
Anton Holzer: Kleinbürgerlich, aber wundersamSchnell ein Bild vorm Schlafengehen: Die Hotelaufnahmen von Elfriede Mejchar
Bett, Tisch, Spiegel, Lampe, Schrank und meistens auch Tapeten. Waschbecken natürlich, aber ein Bad nur ab und zu. Spartanisch und karg ist das Inventar der kleinen, billigen Hotels, in denen die österreichische Fotografin Elfriede Mejchar gewohnt hat und die sie jahrelang dokumentierte. Kaum hatte sie ihren kleinen Koffer abgestellt, kramte sie ihre Kamera heraus und drückte auf den Auslöser. Die Bettdecke ist auf den Bildern praktisch immer unberührt, das Leintuch straffgezogen. Kaum etwas in ihren zurückhaltenden und doch so gesprächigen Bildern weist auf Spuren des persönlichen Gebrauchs hin. Gelegentlich sind ein Paar sorgsam abgestellte Schuhe zu erkennen, ein Mantel am Haken, ein Zettel auf dem Tisch. Sonst nichts als pure Einrichtung, Sauberkeit, Ordnung. Und bloß kein Genuss.
Zwischen 1970 und Mitte der achtziger Jahre fotografierte Elfriede Mejchar einfache Hotels von innen und gelegentlich von außen. Es waren Hotels, in denen sie selbst übernachtet hat, als sie im Auftrag des österreichischen Bundesdenkmalsamtes landauf, landab gereist ist, um schützenswerte Bauten und Bilder zu dokumentieren. Im Jahr 1964 ist sie in den Dienst des „Amtes“ getreten, wie sie distanziert-liebevoll ihren Langzeit-Arbeitgeber nennt. Zwanzig Jahre lang, bis 1984, als sie in den Ruhestand ging, arbeitete sie für das Denkmalamt. Die Spesen, erinnert sie sich in einem Interview, „waren nicht so großzügig, und da musste ich immer Quartiere der unteren Kategorie suchen.“
Warum faszinierte sie die eigenwillige Welt der Hotelzimmer? Ihre fotografischen Ausflüge in das Beiläufige, Randständige, Alltägliche bildeten ein Gegengewicht zu bedeutungsschweren Auftragsfotografie. „Ich habe ja beruflich immer Dinge fotografiert, bei denen man annahm, sie werden ewig bestehen.“ Und so ließ in ihren eigenen Bildern den Blick schweifen, sie fotografierte – oft in umfangreichen Serien – anonyme, ephemere Architektur: Holzschuppen und Vogelscheuchen, Leitungsmasten und Autowracks, Kapellen und Verkehrsspiegel, Industriebauten und eben auch Hotels. Sie habe sich, erzählt sie, Themen gesucht, „die nicht üblich waren“.
Elfriede Mejchar ist eine Fotografin, die keine Scheu vor der banalen, abseitigen Architektur hat, die gerne die Kehrseiten der schönen Fassaden festhielt. „Gewachsene Hässlichkeit“, sagt sie, „ist für mich nicht hässlich.“ Und so dokumentierte sie jahrelang schäbige Brachlandschaften an den Rändern von Wien, Gegenden, die nach und nach der wachsenden Stadt wichen und verschwanden. Sie fotografierte, ganz ohne nostalgisches Pathos, desolate Industriearchitektur aus dem neunzehnten und dem frühen zwanzigsten Jahrhundert, Bauten, unverkennbar ein Erbe einer vergangenen Epoche.
Das Fotografieren hat Elfriede Mejchar, die 1924 in Wien zur Welt gekommen ist, bei einem Provinzfotografen in Norddeutschland gelernt, wohin es sie mit ihrer Mutter in den dreißiger Jahren verschlagen hatte. Familiäre Turbulenzen und die Sehnsucht nach Wien haben sie nach dem Krieg nach Österreich zurückgeführt. Ihre ersten eigenen Aufnahmen entstanden 1946 mit der Kamera ihres Schwiegervaters. Mit Begeisterung las in diesen Jahren die Zeitschrift „Life“, auf die sie über Besatzungssoldaten gestoßen war. So lernte sie die amerikanische Fotografie kennen. Die Fotografie, behauptet sie heute noch, sei für sie stets amerikanisch gewesen, die Literatur hingegen französisch. Im Jahr 1953 kaufte sie sich ihre erste Kamera, eine Leica. Im „Amt“ allerdings verwendete sie bis in die Siebziger eine alte, hölzerne Plattenkamera mit Stativ, erst spät wurde aufgerüstet, und sie konnte in den letzten Jahren mit einer soliden Linhof 9 × 12 arbeiten.
Elfriede Mejchars Fotoserie einfacher Hotels ist keineswegs ironisch-distanziert zu verstehen. Der Fotografin ging es nicht darum, Häme über ein verschrobenes kleinbürgerliches Ambiente auszuschütten. Sie hat vielmehr das Wundersame des Alltags und der Umgebung, das in ihrer Auftragsarbeit keinen Platz hatte, festgehalten. „Besonders über die Tapeten habe ich mich immer gewundert. Und dann erst der Blick aus dem Fenster, unglaublich, was der Gast alles zu sehen bekommt.“ So ist es nur folgerichtig, wenn eine andere umfangreiche Fotoserie Hinterhöfe zum Thema hat.
Inzwischen ist Elfriede Mejchar neunzig Jahre alt. Bilder macht sie noch immer. Von Blumen zum Beispiel, oft schon verwelkt, festgehalten nun in schaurig-schönen Farben, das es knallt.
Das Buch bietet einen Überblick ihres gesamten Schaffens. Die Hotelzimmer sind darin nur ein kleines Kapitel.
(Anton Holzer, Rezension im Reiseblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. Januar 2015, S. R8)
mls: In Fremdenzimmern
Elfriede Mejchar bereiste Österreich
Jahrelang ist die Fotografin Elfriede Mejchar im Auftrag des Bundesdenkmalamtes durch die österreichische Provinz gereist. Sie dokumentierte Kirchen und andere denkmalwürdige Bauten. „Fürs Amt, das war reine Reproduktion“, sagt sie heute rückblickend. Das Unterwegssein in den Jahren 1965 bis 1979 nutzte Mejchar deshalb bald auch, um für sich zu fotografieren, was sie sah. Ihr privates Interesse galt ganz anderen, geradezu gegensätzlichen Motiven: windschiefen Stadeln und Hütten, Unrat am Straßenrand, Strommasten… „Es war ein Erforschen und Überlegen, was passiert am Rande von Straßen“, sagt die Fotografin.
Außerdem begann sie auf ihren Dienstreisen irgendwann, die Unterkünfte zu fotografieren, in denen sie übernachtete. Das Budget für die Mitarbeiterin des Denkmalamtes war knapp – und so landete Elfriede Mejchar oft in einfachen Pensionen und Fremdenzimmern, Tapetenwände, Waschbecken im Zimmer, gemusterte Teppiche, kitschige Bilder, enge Flure mit Zimmerpflanzen und Nippes. Es ist eine ganz eigene Welt, die sich hier auftut. Kleinbürgerlich, gepflegt, muffig, von anrührender Trostlosigkeit. „Und erst der Blick aus dem Fenster: Unglaublich, was der Gast alles zu sehen bekommt.“
Im Verlag mit dem wunderbar passenden Titel „Bibliothek der Provinz“ ist nun ein herausragender Bildband erschienen, der das Werk der heute 90-jährigen Fotografin Elfriede Mejchar würdigt. Dazu gehören nicht nur die präzisen, technisch brillanten Pensionszimmerbilder. Man hat den Eindruck, solche Zimmer werden auch heute noch vermietet, irgendwo auf dem Land, in Gasthöfen, die einfach weitergemacht haben wie früher…
Der Band zeigt darüber hinaus das Lebenswerk einer sehr vielseitigen Fotografin. Sie porträtierte Künstler wie Hundertwasser oder Ernst Fuchs, sie dokumentierte sterbende Industrie und die Ränder Wiens – und im Alter Blumen, in Farbe. Ihr Rat an junge Fotografen: „Niemals nachlassen und immer das tun, was man sich vorstellt.“
(mls, Rezension im Reise-Journal der Augsburger Allgemeinen vom 3. Februar 2015, S. 14)
Frauke Kreutler: Evidenz und fotografische Spurensuche
Mit ihren Fotoserien „Simmeringer Haide und Erdberger Mais 1967–1976“ widmete sich die Fotografin Elfriede Mejchar erstmals in Österreich künstlerisch den Randbezirken Wiens. Ihre fotografische Spurensuche an den brachliegenden Grenzen zwischen Stadt und Land, ihr nüchterner Blick auf Industriebauten und ihre konzeptuellen Dokumentationen der materiellen Hinterlassenschaften einer sich rasch wandelnden Gesellschaft können als österreichische Variante des zur gleichen Zeit in den USA entstandenen Fotostils der „New Topographics“ gesehen werden.
Als Fotografin des Bundesdenkmalamtes bereiste sie Österreich und fotografierte dabei auch die Hotelzimmer, in denen sie übernachtete. Wie auch ihre topografischen Arbeiten, lösen ihre Hotelserien beim Betrachten nostalgische Erinnerungen aus. Doch auf den zweiten Blick sind die Fotos der abgewohnten Hotelzimmer oder der verwahrlosten Gstätten vielmehr nüchterne Momentaufnahmen menschlicher Hinterlassenschaften. Auch ihre weniger bekannte Kritik an der Schönheitsindustrie in Form von Collagen, ihre Blumenbilder und die Porträts der österreichischen Kunstszene haben in der Publikation ausreichend Platz bekommen.
Zu den abgebildeten Fotostrecken gibt es erklärende Beiträge, welche die fotografische Entwicklung Mejchars innerhalb der nationalen aber auch internationalen Fotogeschichte verorten. Im Zentrum aber stehen ihre Bilderserien von der Veränderung urbaner Peripherien und der österreichischen Provinz als Zeitdokumente unerbittlichen Wandels.
(Frauke Kreutler, Rezension für: WeiberDiwan. Die feministische Rezensionszeitschrift, veröffentlicht am 13. Dezember 2014)
https://weiberdiwan.at/evidenz-und-fotografische-spurensuche/
Gregor Auenhammer: Gefrostete Zeit
„Diejenigen, die sich nicht bewegen, bemerken ihre Ketten nicht“, konstatierte einst Rosa Luxemburg. Es gibt, so kann man auch heute, Jahrzehnte nach diesem Statement, noch feststellen, viele Ketten, welche die Menschheit in der Mangel halten. Die prekären Verhältnisse einer teilweise oberflächlichen, von Schnelllebigkeit und Konsum getriebenen Gesellschaft wurden auch in den letzten Monaten mehr als offensichtlich. Besonders für Frauen, deren Rechte immer noch mit Füßen getreten und unter den Teppich gekehrt werden. Eine, die sich zeit ihres Lebens gegen Unrecht und Vorurteile gewandt hat, war die Fotografin Elfriede Mejchar.
1924 in Wien mit dem damaligen Stigma, ein uneheliches Kind zu sein, behaftet geboren, wuchs Mejchar zum Teil in Niederösterreich, später in Deutschland auf, litt lange unter Lieblosigkeit und Egoismus sowohl der Großmutter, der Mutter und des Stiefvaters, bis sie sich emanzipierte, eine Ausbildung zur Fotografin an der Graphischen absolvierte, um sich unabhängig zu machen. Von 1952 bis 1984 dokumentierte Mejchar für das Bundesdenkmalamt, danach arbeitete sie selbstständig als freie Fotografin, auch für Magazine und Verlage. Das Hässliche war es, das sie am meisten faszinierte. Schäbige Hütten, bröckelnde Fassaden, verblühte Blumen, trockene Blätter ohne Glanz durchziehen ihr Werk. In Collagen spann sie Gedanken zu Fäden, oft mit kämpferischem Unterton, ohne den Zeigefinger zu erheben, zu belehren und schlauer zu sein als andere. Tradiertes wie die Rolle der Frau, der Kampf der Geschlechter ließ sie zur leisen Anwältin für Gerechtigkeit werden. Luzide aber erklären so manch überlieferte Zeilen das Innenleben der 2020 verstorbenen Künstlerin: „Man badet in Erinnerung und macht sich tränennass.“
(Gregor Auenhammer, Rezension im Standard-Album vom 12. Juni 2021, S. A7)