
Schweigegeld
Roman
Helmut Rizy
ISBN: 978-3-85252-163-3
21 x 15 cm, 212 Seiten
8,00 €
Momentan nicht lieferbar
Kurzbeschreibung
Nachdem es sich zuvor durch den abendlichen Stadtverkehr gequält hatte, war das Taxi nunmehr schon geraume Zeit auf der Autobahn zum Flughafen unterwegs, als aus dem Autoradio das Zeitzeichen tönte. Unwillkürlich blickte Abd as-Salam Karim auf seine Armbanduhr. Es war sechs Uhr. Er würde genügend Zeit für das Check-in haben, dach¬te er. Der Flug nach Amman sollte um 8 Uhr 45 abgehen. Sobald der Koffer über das Fließband weggerollt wäre, würde er sich noch in Ruhe ins Cafe setzen und etwas trinken. Und danach bliebe lediglich die Sorge, ob er bei der Ankunft seinen Koffer unversehrt wieder in die Hand bekäme.
Vielleicht hätte er das Geld doch lieber ins Handgepäck geben sollen, überlegte er zum fünften oder auch schon zehnten Mal - sinnloserweise. Denn er hatte sich nun einmal für den Koffer entschieden, und daran ließ sich nichts mehr ändern. Gewiß, das Handgepäck hätte er dauernd in seiner Nähe; was aber, wenn man es ihn bei der Kontrolle öffnen ließe und dabei auf die Geldbündel stieße? Er mußte davon ausgehen, daß man ihm dann die gesamte Summe wegnähme, da es bestimmt verboten war, eine halbe Million Dollar undeklarierr auszuführen. Und wenn sie dann nachforschten, woher er denn all das Geld hätte, würde zuletzt doch die ganze Angelegenheit auffliegen.
Unter anderen Umständen wäre es natürlich das einfachste gewesen, das Geld auf ein Konto zu legen und es über die Bank transferieren zu lassen. Aufgrund der internationalen Sanktionen, die der Westen gegen sein Land verhängt hatte, würde aber das Konto schon in dem Augenblick gesperrt sein, in dem er seinen Paß vorwiese. Und er brauchte das Geld sofort, cash. Das Angebot des Österreichers hatte sich ohnehin wie ein Himmelsgeschenk eingestellt. Nun durfte er sich den Segen nicht wieder durch die Lappen gehen lassen. Er mußte nur Ruhe bewahren; nicht nervös werden, sagte sich Abd as-Salam, auch dies nicht zum ersten Mal an diesem Nachmittag. Um sich von diesen beunruhigenden Gedanken abzulenken, achtete er auf die Nachrichten, die das Autoradio eben von sich gab. Er verstand zwar nur ein paar Brocken Deutsch, ein paar Floskeln, die er sich im Lauf seines Umgangs mit Deutschen und Österreichern angeeignet hatte;
nicht genug, um tatsächlich einem Gespräch folgen zu können. Dennoch machte es ihm von Zeit zu Zeit Spaß, Nachrichten in einer ihm fremden Sprache zu verfolgen und herauszufinden, wieviel er davon mitbekam. Zumeist waren es nur ein paar Namen von Ländern, Städten und Personen sowie einzelne Begriffe aus dem einschlägigen internationalen Sprachgebrauch. Aber mitunter genügte das schon, um zu erahnen, worum es ging.
Und jetzt hörte er mit einem Mal einen Namen, der ihm nur allzu vertraut war: Bernhard Winkelbauer. Angestrengt horchte er, ob er verstehen könnte, in welchem Zusammenhang der Namen genannt worden war. Entweder war aber das Radio zu leise eingestellt, oder es war da tatsächlich kein Wort, das ihm hätte einen Hinweis geben können. - Doch! Eines kam zuletzt noch in dieser Meldung: Araber. Vor allem dieses Wort versetzte ihn in Unruhe. Was war geschehen? Hatte die Nachricht etwas mit ihm zu tun? Das mußte er herausfinden; und zwar so schnell wie möglich. - Konnte er den Chauffeur fragen? Wie sollte er sich ihm verständlich machen? Er versuchte, in Gedanken eine entsprechende Frage auf deutsch zu formulieren.
Dabei kam nichts heraus. Zumindest so viel Englisch müßte der Mann doch verstehen, daß er begriff, worum es ging, überlegte er dann. Versuchen mußte er es. So beugte er sich vor und fragte: »What's on with Mr. Winkelbauer?« Und um seine Frage noch etwas zu verdeutlichen, serzce er noch »Mr. Bernhard Winkelbauer!« hinzu.
Der Taxilenker lehnte seinen Kopf zurück und wandte sich ihm halb zu. Er war offenbar überrascht von der Frage und sagte: »Yes?« Abd as-Salam wiederholte seine Frage.
Langsam schien der Chauffeur zu begreifen, was sein Fahr-gast von ihm wollte, denn er sagte nun immerhin: »Ach so! Winkelbauer? ... Der Unternehmer?« »Ja, Mr. Bernhard Winkelbauer«, erwiderte Abd as-Salam.
Der Fahrer erweckte den Eindruck, als ließe er in Gedanken die Nachrichten nochmals Revue passieren. Wahrscheinlich betrachtete er die Nachrichtensendungen lediglich als lästiges Intermezzo inmitten der inzwischen fortgesetzten Musikberieselung, vermutete Abd as-Salam, und er hatte nur mit halbem Ohr oder überhaupt nicht zugehört.
»Er ist tot. Umgebracht!«, sagte er dann doch nach geraumer Zeit, indem er sich wieder seinem Fahrgast zuwandte. Dabei fuhr er sich zur Verdeutlichung mit dem Daumen-nagel quer über die Kehle. Und nach einer weiteren Pause:
»Die Polizei sucht einen Araber.«
Abd as-Salam merkte, daß ihn der Chauffeur im selben Augenblick eindringlich im Rückspiegel zu mustern begann. Seine Handflächen wurden feucht, als er den Blick auf sich gerichtet sah. Er fühlte Panik in sich aufsteigen. Um dem Blick des Fahrers nicht wieder zu begegnen, schaute er aus dem Fenster. Die Lärmschutzwand am Straßenrand war alles, was er sehen konnte. Von Zeit zu Zeit tauchten die grünen Notausgang-Zeichen auf und gleich darauf die dazugehörigen Türen...
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Andreas Kiesewetters Arbeitsjournal
Das Messer
Hasenjagd im Mühlviertel
Im Maulwurfshügel
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