890 gstanzln
[best of!]
Hans-Peter Falkner
ISBN: 978-3-99028-570-1
21×15 cm, 240 Seiten, m. Abb., Hardcover, Leinen + Beilage: 1 Audio-CD
€ 30,00 €
Momentan nicht lieferbar
Leseprobe (PDF)
Kurzbeschreibung
Seit nunmehr 26 Jahren trommelt und ziehharmonikasiert sich das Duo Attwenger durch heimische und internationale Konzertbühnen und zeigt dabei auch dem begeisterten Ausland, wie sich oberösterreichische Gstanzln auf Punk, Techno, House, Dub und Rockabilly reimen.
Wenn Hans-Peter Falkner seine Knöpferlharmonika beiseite legt, dann sammelt und archiviert er unter anderem Gstanzln, schreibt zahlreiche neue hinzu und versammelt sie in bibliophilen Kompilationen: 1996 erschien im Waldviertler Verlag Bibliothek der Provinz der erste Band von HP Falkner mit sagenhaften tausendzweihundertundvierunddreißig (1234) Gstanzln, 1999 folgte der zweite mit fünfhundertsiebenundsechzig (567).
HP Falkner hat nun den dritten Band seiner Gstanzl-Trilogie herausgegeben. Dieses Mal sind es genau achthundertneunzig (890) Gstanzln, die er gesammelt oder selbst gedichtet hat. Der goldene Einband suggeriert bereits, dass es sich beim letzten Band der Trilogie auch um ein erweitertes „best of“ der vorher erschienenen Bände handelt. 16 Fotos von Mündern der musikalischen Wegbegleiter HP Falkners strukturieren die Themen der 890 gstanzln, die im Goldenen Buch verewigt sind. Ihm liegt wieder eine CD bei, die auch separat über HP Falkners Musiklabel Fischrecords erhältlich ist.
Einen Sachverhalt so knapp und pointiert wie möglich in gesungener und gereimter Form zu beschreiben, meist mit einem spöttischen Unterton, ist das Ziel jedes Gstanzls. Die einfachen Grundstrukturen und die sich (fast kontemplativ) wiederholenden Melodien der Gstanzln geben Raum für Millionen von Textvariationen, aber auch für bestechende Verdichtungen der kleinen und großen Fragen des Lebens. HP Falkner schöpft einerseits aus dem riesigen Schatz bereits existierender Verse, andererseits aktualisiert er die traditionelle Gstanzl-Form in neuen Minikunstwerken nach bester Attwenger-Manier. Die Sprachspielereien von Falkner und Binder sind mittlerweile ein Stück österreichische Musikgeschichte.
Wer die oberösterreichische Mundart in Wort und Schrift nicht gleich versteht, kann sich die Zeilen auch laut vorlesen – oder zur Entspannung in den englischen stanzas blättern:
in the grass sits a cricket
chirping for a oneway ticket
suddenly it doesnt sing or say
head moved away
Im Original:
und a grü sitzt im gros
und pfeifft si grod wos
auf amoi is schtaad
schedl ogmaad
HP Falkner ist bei fast allen Gstanzln zu hören. Solo oder mit Attwenger, die Goas, Scheissleitnmusi. Außerdem auf der CD: Tanzhausgeiger, Rudi Koschelu, Lukas König, Harry Stojka und private Tracks aus dem Familienalbum von Großvater Johann (1991) bis Tochter Ella Falkner (2016).
Rezensionen
Christian Schachinger: Goschert und gschert, des is's uns wertHans-Peter Falkner von Attwenger veröffentlicht seine über die Jahre zusammengetragene Sammlung von Gstanzln als Buch-CD
„und a grü sitzt im gros / und pfeifft si grod wos / auf amoi is schtaad / schedl ogmaad.“
Zum besseren Verständnis der oberösterreichischen Mundart für Menschen, die nicht das Glück hatten, in diesem gesegneten Landstrich mit seinen wunderbaren Dialekten, leicht lallenden Regiolekten und beherzten Idiolekten geboren worden zu sein, können auf jeden Fall zwei Tipps des Verlags hilfreich sein. Erstens kann man sich dieses schöne Gstanzl laut vorlesen. Zweitens ist vielleicht eine englische Oberflächenübersetzung hilfreich: „in the grass sits a cricket / chirping for a oneway ticket / suddenly it doesn't sing or say / head moved away.“
26-Jahr-Jubiläum
Seit mittlerweile 26 Jahren spielt der aus Linz-Urfahr stammende Hans-Peter Falkner gemeinsam mit Markus Binder im Duo Attwenger. Er bemüht sich dabei, nicht nur die seinem heimatlichen Landstrich eigene Verschrobenheit und humoristische Ruppigkeit hinaus in die Welt zu tragen. Dies führte in der Vergangenheit unter anderem schon zu Gastspielreisen in die Mongolei und überhaupt diesen ganzen, teilweise tatsächlich besuchten asiatischen Raum, sondern etwa auch nach Afrika.
Attwenger bemühen sich auch seit jeher, den klassischen Formen der hiesigen Volksmusik eine sogenannte Welthaltigkeit einzuverleiben. Musikalisch definiert sich diese über die Einflüsse von Hip-Hop, Punk oder Techno. Speziell mit dem Hip-Hop und dessen improvisierten „Battles“ und spontanen Reimzwang-Sessions bietet sich hier eine Gemeinsamkeit, auf der Hans-Peter Falkners Hobby beruht. Neben dem Spielen der Knöpferlharmonika sammelt, dichtet oder überarbeitet Falkner auch traditionelle Formen des Gstanzlgesangs.
„gstanzln“-Reihe
Schon 1996 erschien im Waldviertler Verlag Bibliothek der Provinz mit dem voluminösen Klassiker 1234 gstanzln eine heute längst vergriffene Sammlung ebenso vieler dialektaler Vierzeiler. Ergänzt wurde diese drei Jahre später durch den Nachfolgeband 567 gstanzln. Falkner legt nun eine wiederum durch eine CD mit 33 praktischen Hörbeispielen ergänzte, traditionell in Attwenger'scher Kleinschrift abgefasste Schnittmenge beider Arbeiten vor: 890 gstanzln. best of!
Das Attwenger-Nebenprojekt Die Goas ist darauf ebenso zu hören wie mit Falkner assoziierte Projekte wie die Scheissleitnmusi, Attwenger & Harri Stojka, Duette Falkners mit Mutter Pauline, Großvater Johann sowie Tochter Ella oder den Tanzhausgeigern und der Cpt. Schneider Band.
In thematischen Blöcken wie dem höheren Sinn oder Unsinn gewidmeten Abschnitten „vadraht“, „wirtshaus – saufm“, dem sehr deftigen „schiache“ oder traditionellem Pflichtprogramm wie „oabeit“, „musi – taunzn“ und „wüdan – jagan“ präsentiert sich eine alte Kulturtechnik des Hohns und Spotts, geselligen und ungeselligen Beisammenseins, von Aufsässigkeit und menschenfreundlichem Nihilismus. All das kommt meist im Dreivierteltakt und zweigliedrigen Strophen über Paar- und Kreuzreime daher.
„do predigt da fux“
Die Gstanzln liefern dabei nicht nur so etwas Ähnliches wie eine Ideengeschichte des alpenländischen Raums. Sie belegen auch eines. Speziell im 18. und 19. Jahrhundert war der öffentliche Vortrag von Gstanzln wegen deren widerständigen, goscherten wie gscherten Charakters und der oftmaligen Lächerlichmachung der Obrigkeit aus naheliegenden Gründen immer wieder verboten: „im lungau im pongau / im pinzgau in tux / gehn dhenna ind kira / do predigt da fux.“
(Christian Schachinger, Rezension im Standard vom 16. November 2016)
https://www.derstandard.at/story/2000047668529/attwengers-890-gstanzln-goschert-und-gschert-des-is-uns-wert
CHJ: Die Welt ersingen
Manchmal ist es einfacher als gedacht: Die Welt ist ein Vierzeiler. Und die Vierzeiler sind eine Welt. HP Falkner, bekannt als eine Hälfte von Attwenger, sammelt seit Jahren österreichische Gstanzln und fügt dem Schatz eigene hinzu. Falkner kommt selber aus einer Volksmusikerfamilie und ist mit der Überlieferung aufgewachsen. „890 Gstanzln“ heißt sein drittes Buch, edel umgesetzt im Verlag der Provinz.
Gedruckt wird die mündliche Volkskunst zu Lyrik, die alle lebenswichtigen Dinge umspannt: Liebe, Essen, Sex, Saufen und den Gang zur Toilette. Ein Gstanzl kann zart poetisch sein oder derb und dreckig. Zum Buch gibt es auch eine CD. Gstanzlsingen ist eine Form des Musizierens, die durch das Wiederholen der immer gleichen Akkorde und Tonfolgen schon stark an der Trance kratzt. […]
(CHJ, Rezension in der Süddeutschen Zeitung vom 28. November 2016)
https://www.sueddeutsche.de/kultur/fraunhofer-die-welt-ersingen-1.3270000
Marco Weise: Das Leben ist ein Vierzeiler
Hans-Peter Falkner von der heimischen Band Attwenger veröffentlicht „890 gstanzln“.
„Ein Gstanzl kann und soll auch politisch sein. Es ist eine Form, der Obrigkeit zu sagen, was dem kleinen Mann von der Straße nicht passt“, sagt Hans-Peter Falkner im KURIER-Gespräch. Der in Wien lebende Musiker beschäftigt sich seit seiner Kindheit im oberösterreichischen Linz-Urfahr mit jenen Vierzeilern, die in gewissen Gegenden Österreichs große Tradition haben.
Mit dem klassischen, heimatseligen, gerne mal sexistischen und deshalb auch fragwürdigen „Holladrio“-Liedgut, an dem man hierzulande nur schwer vorbeikommt, will Hans-Peter Falkner nichts zu tun haben. „Ich habe zum Gstanzl einen völlig anderen Zugang. Ich spiele zwar mit Traditionen, sehe sie aber durch eine andere Brille. Ich gebe meinen Texten eine weltoffene Haltung mit auf dem Weg.“
Wos nutzt ma des grantln, wos nutzt ma des sorgn, slebm gehd jo grod, vo heid bis auf morgn
Für diese kitschbefreite Variante einer Volksmusik stehen auch die Zweimannkapellen die goas und Attwenger, die von Hans-Peter Falkner und Markus Binder erfolgreich betrieben werden. Auf ihren Alben verbinden sie Dialektkost mit fremden Einflüssen: Mundartgesang trifft auf herzhafte Grooves und eine punkig gespielte Knöpferlharmonika. „Mein Großvater hat mir in den frühen Achtzigerjahren den Punk vermittelt. Wenn ich mich verspielt habe, hat er hat gesagt: ,Du spielst nicht falsch, sondern anders‘“, sagt Falkner. Das Oberösterreichische spiele beim Texten eine große Rolle, es eigne sich besonders gut für Gstanzln: „Man kann gut damit singen. Er ist nicht kantig, sondern schön rund.“
Auf di hod da heagott, an bsundenen zoan, sunst wast schtod ana brenessl, a maigleggal woan
Falkner beschäftigt sich seit seinen jungen Jahren mit Kreuzreimen, Paarreimen, alten und neuen Vierzeilern. „Diese Gstanzln waren immer irgendwie da“, sagt Falkner. „Mein Großvater, mein Vater und ich haben immer wieder zu dritt musiziert“, erinnert er sich.
Irgendwann Ende der Achtziger, Anfang der Neunzigerjahre habe er damit begonnen, die Reime niederzuschreiben. Aus dieser Idee heraus ist die erste, 1996 erschienene Text-Sammlung „1234 gstanzln“ entstanden – ein heute längst vergriffenes Buch, das drei Jahre später durch den Nachfolgeband „567 gstanzln“ ergänzt wurde. Und nun schließt Hans-Peter Falkner diese Reihe mit „890 gstanzln“ ab. Der dritte und letzte Teil ist eine Art „Best of“, das mit 33 praktischen Hörbeispielen auf CD ergänzt wird.
Drent in schönbrunn, sitzt a off in da sunn, frisst bradl trinkt wein, so a off mecht i sei
Was Falkner an den Gstanzln besonders mag, ist das Repetitive, das Wiederholen der immer gleichen Akkorde und Tonfolgen. Das hat etwas Befreiendes. Die Melodien steuert Falkner selbst auf der Quetschn bei: „Ein Leben ohne Ziehharmonika gibt es für mich nicht“, sagt er am Ende des Gesprächs. Davor erinnert sich Falkner noch an seine ersten Auftritte mit der Familie: „Wir haben immer wieder auf Tanzveranstaltungen gespielt. Oft bis zu fünf Stunden am Stück. Das war hart, aber eine gute Schule. Danach bin ich oft noch in die Stadtwerkstatt gegangen und habe mir Punk-Konzerte angeschaut. Das war meine Jugend.“
(Marco Weise, Rezension im Kurier vom 13. Dezember 2016)
https://kurier.at/kultur/hans-peter-falkner-das-leben-ist-ein-vierzeiler/235.500.679
Der Vierzeiler: „I hob gschrian“
Lange mussten Fans von Gstanzln und/oder Hans-Peter Falkner warten, jetzt ist er da: best of! nennt der oberösterreichische Musiker den dritten, in edles Gold gebundenen Teil seiner Sammlung mit 890 gstanzln, darunter das Beste aus den beiden ersten Bänden. Die Vierzeiler widmen sich unter anderen den Themen »Hümmö«, »Wüdan – Jagan«, »Oim«, »Diandl – Bua« und »Obschied«. Beigelegt ist eine CD mit 33 Titeln, eingespielt etwa von Die Goas (»Landla 1«), Tanzhausgeiger (»Landla«), Scheissleitnmusi (»Schleiniger«), Attwenger (»Ambach Landla«) und 3 Falkner (»8 Zeiler Gstanzln«) und HP Falkner selbst (»A Windal«, »Da See«, »In da Frua«).
(Rezension in: Der Vierzeiler. Zeitschrift des Steirischen Volksliedwerks für Musik, Kultur und Volksleben, 36. Jg., Nr. 4, 2016, S. 38)
Bernhard Lichtenberger: Mundart
„gestan hods gschneibt / und koid is im land / hiazt san ma de läus dafroan / unta mein gwand“. Das ist nur eines von 890 Gstanzln, die Attwenger-Hälfte Hans-Peter Falkner gesammelt oder selbst gedichtet hat – ein vollendetes Mundart-Vergnügen, dem eine CD mit 33 Stücken beiliegt.
(Bernhard Lichtenberger, Rezension in den Oberösterreichischen Nachrichten vom 15. Dezember 2016, S. 20)
https://www.nachrichten.at/kultur/36-Buch-Tipps-fuer-Weihnachten;art16,2430280
Christian Jooß-Bernau: Gigglgogl und Gogglgigl
Hans-Peter Falkner liebt Gstanzln: eine Sammlung zum Lesen und Hören
Manchmal bricht sie unter der Last der Jahre ein, wie dünnes Eis. Die Stimme kann nicht mehr so recht. Oft überkommt sie ein Lachen. Eines, wie es nur sehr alten Menschen gelingt, denen ihre Eitelkeit nicht mehr im Weg steht. Eines, das die Stimme durchbeutelt, während sie doch weitersingt. 96 Jahre, sagt HP Falkner, sei sein Großvater gewesen, als er ihn damals aufgenommen habe, Gstanzlsingen konnte der Opa noch, die Knopfharmonika spielen ging nicht mehr. Das übernahm der Enkel. Heute tut es Falkner leid, dass er den Großvater nicht öfter aufgenommen hat. „Der spielt ja eh immer,“ hat er gedacht. Mit dem Großvater war das so ähnlich wie mit den Gstanzln: „Die sind ja da.“
Der Großvater war kurze Zeit nach dieser Aufnahme aus dem Mai 1991 weg. Und Falkner machte weiter Musik. Als eine Hälfte von Attwenger wurde er kurz darauf bekannt. Zwei Typen, die mit Schlagzeug und verzerrter Harmonika zeigten, was Volksmusik sein kann: Punk-Bewusstseinsstrom und ein ewiger Off-Beat, der in die Sprache hackt, bis die Späne fliegen. Möglich, dass Traditionalisten das als Sakrileg empfanden. Aber wer mag schon Traditionalisten.
In der Kulisse des Fraunhofer-Theaters steht Falkner mit jungen Musikern auf der Bühne – und macht Volksmusik. Mit Tuba, Kontrabass, Geigen und allem Drum und Dran. Und zu einem maßgeblichen Teil singt er Gstanzln. Einem Gelegenheitsvolksmusikhörer kann das Gstanzl als das Ende des Erträglichen vorkommen. Immer ähnlich, immer gleich ist die Melodie, auf die es sich reimt. Mit zwei Akkorden unterbietet man an Komplexität den Blues, und auch rhythmisch sind die Möglichkeiten begrenzt. Das Gstanzl ist auf den ersten Blick das kleine Lied für die kleine Welt von gestern.
Für Falkner ist in den kleinen Reimen die große Welt gebunden. „890 Gstanzln“ heißt sein Buch, dessen Titel ziemlich genau den Inhalt umreißt. Es ist das Ende einer Reihe, eine Zusammenfassung und eine Erweiterung. 1996 hat er ebenfalls beim Verlag Bibliothek der Provinz den Band „1234 Gstanzln“ veröffentlicht. 1999 folgten „567 Gstanzln“. Beigelegt war immer eine CD, die es auch heute noch einzeln zu kaufen gibt über www.fischrecords.at. Die ersten beiden Bücher sind lange schon vergriffen. Aber auch mit dem letzten hat man immer noch ganz schön viele Gstanzln, die, liest man sie einmal hintereinander weg, etwas mit dem Hirn anstellen. Es beginnt sich zu drehen.
Natürlich ist der angemessene Platz des Gstanzls nicht die Buchseite, sondern das Wirtshaus. 33 Gstanzl-Nummern sind auf der aktuellen CD „890 Gstanzln. Best of!“ zu hören. Von den Neunzigern bis heute, in diversen Besetzungen, meist mit Falkner. Mal singt der für sich, als würde er mit sich selber reden, mal tobt er im Pulk. Eine musikalische Evolution gibt es nicht. Das Gstanzl ist ein Kreis. Aber der ist immer anders rund. Falkner hat mit dem Aufschreiben aus dem praktischen Grund begonnen, sich die Texte für die Bühne merken zu müssen. Auch vor ihm gab es schon gedruckte Sammlungen. Die aber kamen ihm komisch vor. Zu verkitscht. Und dann die Schreibweise: „Die ganzen Apostroph' und Ringerl und Kugerl. Ich wollt das einfach total klar haben.“ Die Folge ist, dass sich aus dem Geruch von Papier und Druckerschwärze Lyrik formt: „und da gigglgogl hod a mensch ghobt / und da gogglgigl dea hod a / sogt da gigglgogl zum gogglgigl / ge goggl do de mei aa“. Einem nicht im Alpenraum Sozialisierten mag das anmuten wie Konkrete Poesie, ein Dialektalerfahrener liest es so versaut, wie es gemeint ist.
Das Gstanzl ist kein Hort des erhabenen Volksempfindens, es ist Lebensnotdurft in Reimform. Oben kommen sie rein, das Bier, die Würste, die Knödel. Unten kommen sie raus. Dazwischen ist der Mensch. Das ist der Witz. Das Gstanzl ist gerne derb. Aber in den Gstanzln, die Falkner gesammelt hat, ist das Derbe ein anarchischer Spaß, keine Pöbelei, die volkstümlich das Maul aufreißt. Falkners Buch bildet Gruppen. „wirtshaus – saufn“ ist eine, „oabeit“ eine andere. „i liab di – valossn“ eine nächste: „zwoa fischal im weiha / zwoa antn im see / de liab de gehd unta / und nimma ind heh“. Man muss das nicht mit einem Haiku vergleichen, aber ein Gstanzl kann die poetische Verdichtung schaffen: vom Bild zur Emotion zur Einsicht in das Wesen der Dinge.
Mehrere Theorien gibt es über die Herkunft des Begriffes, aber Falkner hängt der an, die das Gstanzl von der italienischen, achtzeiligen Stanza ableitet. Das G komme als Mundartfärbung – „eine bissl eine Schlampigkeit“ – hinzu. Wobei Gstanzl eben nicht gleich Gstanzl ist. Auf dem Viktualienmarkt steht der Roider Jackl auf seinem Brunnen, als würde er gerade tief Luft holen vor der nächsten Strophe. Zwischen den Liedern des Roider Jackls in München, auch Schnaderhüpfl genannt, und dem oberösterreichischen Gstanzln des HP Falkner gibt es deutliche melodiöse Unterschiede. Auch rhythmisch ist es nicht das Gleiche. Falkners Großvater hat es ihm beigebracht, hat mit einem Gürtel sein Bein an das des Enkels gebunden. So haben sie gemeinsam beim Spielen den Rhythmus gestampft. In Bayern ist das Gstanzl eine Vortragskunst, manchmal auch als Spontangedicht. In Oberösterreich wird es zum Tanz gesungen. In der Kulisse im Fraunhofer sind die Zuhörer lieber nur Zuhörer. Falkner steht mit den Tanzhausgeigern auf der Bühne, einer jungen Gruppe aus Österreich, die, würden sie nicht gerade Volksmusik spielen, in der Mehrzahl als Hipster durchgehen würden. Im Publikum sieht man viele, die man sich auf so einigen Konzerten vorstellen könnte, beim Gstanzl-Singen nicht. Möglich, dass es auch an Falkners Bekanntheit liegt. Aber da ist noch etwas anderes. Hat man das Buch gelesen, die CD gehört, das Konzert gesehen, dann hört man Attwenger neu. Als Band, die sich aus dem Kulturreservoir der Gstanzln speist. Jedes für sich ist ein abgeschlossenes Mikrogedicht. Die lassen sich zu einer langen Kette auffädeln – einem Makrogedicht. Und immer geht es hin und her zwischen den zwei Akkorden, geht es im Kreis, im Tanz. „Es ist wie beim Techno“, sagt HP Falkner: „Du kommst in ein Radl eine.“ Stundenlang kann das so gehen. Irgendwann ist das Gstanzl kein Gstanzl mehr, sondern Ritual. Trancezustand. So geht es von der Liebe zum Essen zum Sex, und einmal ist auch Schluss: „und a grü sitzt im gros / und pfeifft si grow wos / auf amoi is schtaad / schedl ogmaad.“
In der Schule für Dichtung in Wien hat Falkner einen einwöchigen Kurs gegeben. Einer Dame ist er da begegnet, die war sich sicher, das Gstanzl habe immer vier Zeilen. „Ja eh. Aber ist ja wurscht. Wenn mir mehr einfällt als vier Zeilen, dann wird's halt ein Achtzeiler“, hat Falkner ihr geantwortet. Worauf die Dame insistierte, das Besondere am Gstanzl seien doch wohl die vier Zeilen. „Jo, für di“, hat Falkner gesagt. Regeln sind das eine, das Leben und die Gstanzln sind etwas anderes. Gibt es ein Thema, das bis jetzt noch nicht in Gstanzln gefasst wurde? „Wenn wir das jetzt wüssten, was bis jetzt nicht behandelt worden ist – dann würden wir's ja eh tun. Vielleicht“, sagt Falkner.
(Christian Jooss-Bernau, Rezension in der Süddeutschen Zeitung vom 30. Dezember 2016)
https://www.sueddeutsche.de/kultur/volksmusik-gigglgogl-und-gogglgigl-1.3315141
Dominika Meindl: [Rezension]
Der neuen Lust an der Herkunft ist mit Skepsis zu begegnen, wir sagen nur: Trachtenbadehosen und Gabalier unplugged. Es folgt ein überzeugtes Aber: Was Attwenger – im vorliegenden Fall Quetschnmann Hans-Peter Falkner – machen, hat immer Hand und Fuß. Seit Jahrzehnten sammelt, überarbeitet und schreibt Falkner Gstanzln, zuletzt als Unterrichtender an der Schule für Dichtung. Wie ergiebig diese rustikalen Aphorismen sind, voll existenzieller Weisheit im Dreivierteltakt! Etwa bei der Dialektik von Licht und Schatten: „und in da finsterkeit / do siacht ma ned soweit / ois wia beim togesliacht / wo ma vü weida siacht.“ Zeitweise sind die Vierzeiler auch einfach schön deppert.
Die 33 Hörbeispiele der beiliegenden CD reichen von erdig-traditionell bis zur lässigen Rap-Kooperation mit Koenig. Derart interpretierte Gstanzln stellen das verbindende Element zwischen Avantgarde und Heimatlichkeit dar.
(Dominika Meindl, Rezension im Falter #02/17 vom 11. Jänner 2017)
https://www.falter.at/zeitung/20170111/heimat-und-sprachwitz/ff4d8aa551
Dominika Meindl: [Rezension]
Gstanzln? Kann das was?, denkt die Rezensentin noch, und: Gut, wenn's von Hans-Peter Falkner kommt… legt dann die CD mit den 33 Hörbeispielen ein und hört mit dem Lachen nicht mehr auf. Seit Jahrzehnten sammelt, überarbeitet und schreibt die Knopfharmonie spielende Hälfte von „Attwenger“ diese Gedichte – im November auch als Unterrichtender an der Schule für Dichtung. Er zeigt, wie ergiebig diese rustikalen Aphorismen sind, voll existenzieller Weisheit im Dreivierteltakt. Zeitweise auch einfach deppert. Ein herrliches Erbe!
Attwenger kombinieren seit 26 Jahren die Tradition der Volksmusik mit dem Neuen, Wilden. Wer die Gstanzln auf diese Weise hört (oder liest), denkt schnell an den Hip Hop, nicht nur des Reimes wegen, sondern wegen der saftigen Polemik und handfesten Erotik. Darum ist die Sammlung „schiache“ die allerlustigste. Sind Sie des Oberösterreichischen nicht mächtig, hilft lautes Vorlesen sowie das Kapitel „englische“. Das Buch enthält nicht nur die CD, sondern ist ein Best Of der Bücher 1234 (1996 erschienen, länger vergriffen) und 567 gstanzln.
(Dominika Meindl, Rezension im Kulturbericht Oberösterreich. Monatsschrift der OÖ Kultur, 71. Jg., Folge 01, Jänner/Februar 2017, S. 24)
Bernhard Flieher: In vier Zeilen die Obrigkeit ausquetschen
Hans Peter Falkner sammelt Gstanzln. Er tut das aber nicht, um die kurzen Dialektgedichte zu musealisieren. Er nutzt sie und seine Ziehharmonika, um die Welt zu hinterfragen.
Hans Peter Falkner arbeitet mit volksmusikalischer Tradition, die er seit Kindertagen kennt. Der 49-Jährige mauert die Tradition aber nicht ein. Er öffnet ihr eine neue Welt – etwa als Hälfte der Zweimannband Attwenger. Da mischt er mit seinem Kollegen Markus Binder Dialekt, volksmusikalische Strukturen und zeitgenössische Popmusik. In allem folgt er einer punkigen, unangepassten Haltung, für die schon der Großvater die Basis gelegt hat. Wenn sich der Enkel einst verspielt hat, sagte der Opa: „Du spielst nicht falsch, sondern anders.“ Textlicher Ausgangspunkt von Falkners Arbeit an der Ziehharmonika sind meist Gstanzln. „Die waren immer irgendwie da“, sagt Falkner. Viele schrieb er auf, er dichtete neue, dichtete um. Zum dritten Mal gibt es eine Sammlung als Buch.
SN: Herr Falkner, wie erklären Sie jemandem, der keine Ahnung hat, was ein Gstanzl ist?
Falkner: Das ist ein kleines Gedicht, das meistens im Kreuzreim, auch im Wechselreim verfasst ist – oder im Paarreim. Es hat meist vier Zeilen, kann aber auch acht oder zwölf oder 16 haben. Na ja, bei 16 ist es dann schon eher eine G’schichte als ein Gstanzl.
SN: Klingt schwieriger zu definieren als gedacht …
Ist es aber nicht. Das Wort dürfte als Verkleinerung vom italienischen Wort „stanza“ für „Strophe“ abstammen und findet sich so beispielsweise bei der italienischen Stanze. Während diese achtzeilig ist, ist das typische Gstanzl etwa in Oberösterreich aber ein einziger Vierzeiler. Und der Vierzeiler ist ja wiederum der Ausgangspunkt für viele Poptexte.
Ich war einmal eingeladen zu einem Vortrag bei der Schule für Dichtung, da wurde dann aus einzelnen Vierzeilern eine siebenseitige Textwurst, wie das auch bei Attwenger passiert.
SN: Und was ist die Funktion von Gstanzln?
Früher war’s so, dass man der Obrigkeit mit Gstanzln eins auswischen konnte. Da wurden Dinge singend angesprochen, die man sonst nicht sagen konnte. Gstanzln erklingen spontan, ungekünstelt und grob. Und sie schöpfen auch heute noch voll aus der Mundart. Heute dienen sie aber halt vorrangig der Unterhaltung – oder wie im Fall unserer Band Attwenger als Ausgangspunkt für Texte. Eines aber blieb immer gleich: Es geht darum, einen Sachverhalt so knapp und pointiert wie möglich in gesungener und gereimter Form zu beschreiben, meist mit einem spöttischen Unterton.
SN: „890 Gstanzln“ ist der 3. Band Ihrer Gstanzl-Sammlung. Wie begann das Sammeln?
Mein Vater hat schon immer Texte aufgeschrieben. Vielleicht habe ich das also von ihm. Ab Anfang der 1990er-Jahre hab ich dann begonnen, mir diverse Texte aufzuschreiben, weil’s im Lauf der Zeit immer mehr geworden sind und ich sie mir nicht mehr alle auswendig merken konnte.
SN: Gibt es beim Sammeln Regeln dafür, wann ein Gstanzl aufgezeichnet wird, wann es zur Veröffentlichung taugt?
Aufgeschrieben wird eh nur das, was taugt. Die derben oder sexistischen 08/15-Dinger, die interessieren mich nicht.
SN: Sind denn in dem Buch nur historische Gstanzln zu finden oder haben Sie auch selbst gedichtet?
Ich habe Überliefertes zusammengetragen und auch selbst gedichtet, eine Mischung aus allen mir zur Verfügung stehenden Töpfen.
SN: Wie entstanden die Aufnahmen für die CD, die dem Buch beigelegt ist?
So wie die Texte wurde auch die Musik im Laufe der letzten 25 Jahren zusammengetragen. Die meisten Stücke sind auch von mir aufgenommen und bei den meisten spiele ich auch mit – in den unterschiedlichsten Besetzungen. Da ist dann die Familie zu hören, mit der alles begann, oder auch mein Lieblingskollege Markus Binder. Es beginnt mit Aufnahmen mit meinem Großvater Johann aus dem Jahr 1991 und es geht bis zu meinen Kindern im vergangenen Jahr.
SN: Welche Rolle spielt für Sie bei einer solchen Sammlung der Gedanke, dass man etwas für die Nachwelt festhält, das sonst verschwinden könnte?
Ich bin kein Museumstyp und auch kein Archivar. Dieser Gedanke etwas festzuhalten hat bei der ganzen Geschichte keine Rolle gespielt. Die Nachwelt filtert sowieso nur das heraus, was für sie in Zukunft wichtig sein wird.
(Bernhard Flieher, Interview in den Salzburger Nachrichten vom 20. Jänner 2017)
Ilse Retzek-Wimmer: [Rezension]
Zu Beginn meiner journalistischen Karriere – damals als freie Kulturmitarbeiterin des Vöcklabrucker Wochenspiegels – begegnete ich dem blutjungen Duo Attwenger zum ersten Mal im zum Bersten vollen Kultursaal von Timelkam. Was für ein Abend!!! Eine Grenzerfahrung, aufwühlend, bewegend, mitreißend. Diese schräge Verbindung aus Mundartgstanzln und einer Melange unterschiedlichster Musikstile war in der Zeitrechnung vor Erfindung des Internets, von youtube oder spotify völlig neu. Das Publikum war vollkommen geflashed und ich tagelang energetisiert.
Der Attwenger-Hälfte Hans Peter Falkner ist es auch zu verdanken, dass die Gstanzln in ihrer Urform der oberösterreichischen Mundart nicht verloren gehen. 1996 erschien im feinen Waldviertler Verlag Bibliothek der Provinz die ersten 1234 Gstanzln, 1999 folgten 567 weitere und nun hat der Archivar der in freche Vierzeiler verdichteten Alltagsgeschichten den best of-Abschluss der Trilogie „890 Gstanzln“ vorgelegt.
Es versteht sich von selbst, dass das Salzkammergut in der Gstanzl-Welt nicht fehlen kann.
de gosauer mentscha
schtehend kniatiaf im see
owa buama daboamts eng
da hunga tuad weh
da traunschtoa is gschpizad
und da see noß
mei oide is kropfad
i woaß ned vo was
da schofberg is hoch
und deisenau weid
zum nochban was nahad
haum dmentscha koa schneid
Um es kurz zu machen: das Buch ist der Hammer. Voll Ironie aber auch tiefer Gefühle, direkt aus dem Leben, ungeschminkt, wie es sein kann. HP Falkner und der Bibliothek der Provinz ist nicht genug zu danken, dass sie ein Kleinod tiefster oberösterreichischer Kulturgeschichte weitertragen. Und als Draufgabe findet sich noch eine CD im Einband, auf der Falkner, das Duo Attwenger und andere Begleiter original zu hören sind. Sehr fein!!!
(Ilse Retzek-Wimmer, Rezension für: salzkammergood.at. Der Salzkammergut-Blog, online veröffentlicht am 10. Januar 2017)
https://www.salzkammergood.at/890-gstanzln/