Kaltviertel
Kriminalroman
Franz Kabelka
ISBN: 978-3-99028-675-3
22×14 cm, 240 Seiten, Hardcover m. Schutzumschl. & Lesebändchen
€ 22,00 €
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Kurzbeschreibung
Windkraftwerke – ja oder nein? Diese Frage bringt einigen Streit in die kleine Waldviertler Gemeinde Penzdorf. Weder die politischen noch die sexuellen Aktivitäten des Bürgermeisters tragen dazu bei, die Wogen zu glätten. Mit dem Besuch eines Auswanderers wird zudem eine Tür in die Vergangenheit geöffnet, die einige Dorfbewohner mit aller Kraft verschlossen halten möchten.
„Manchmal werden wir nur deshalb nicht zum Mörder, weil ein anderer uns zuvorkommt …“
„Mit Kabelka hat die österreichische Krimiliteratur einen hintersinnigen Fabulierer gewonnen.“
(Anton Thuswaldner, Salzburger Nachrichten)
Frieda Prohaska, Journalistin beim Wochenmagazin opinion, ist schwanger. Nur blöd, dass das Kind nicht von ihrem Lebensgefährten Leo stammt, sondern das Ergebnis eines One-Night-Stands ist. Um sich darüber klar zu werden, wie sie mit der Situation umgehen soll, zieht sich Frieda in ihr Elternhaus nach Penzdorf, eine Waldviertler Gemeinde, zurück. Dort herrscht gerade Krieg: Bürgermeister Kastner will einen Windpark errichten lassen, doch die Bürgerinitiative von Gottfried Gerstl kämpft mit allen Mitteln dagegen an. Als in der Gudenushöhle eine nackte Männerleiche gefunden wird, beginnen Chefinspektor Wabitsch und seine Kollegin Schweighofer vom LKA ihre Ermittlungen. Nach dem Selbstmord eines Verdächtigen scheint der Fall geklärt zu sein. Doch dann erhält Frieda unerwartete Post aus dem hohen Norden …
Rezensionen
Helmuth Schönauer: [Rezension]Seit man zum Roman allenthalben Krimi sagt, lautet das Urteil der nicht Krimi-affinen Leserschaft: Der schönste Krimi ist jener, der keiner ist. Franz Kabelka muss natürlich Kriminalroman auf den Umschlag schreiben, aber genau genommen kommt der Roman auch ohne diese Bezeichnung aus, denn die Leichen kommen spät und widerwillig, gerade noch, dass sie im Drama untergebracht werden können. Denn Kaltviertel ist ein Drama an Entlegenheit und wundersamer Naivität. Der Titel geht auf eine Bemerkung des Waldviertel-Schriftstellers Thomas Sautner zurück, der das Waldviertel in einer Hommage eiskalt als Kaltviertel bezeichnet. (…)
Jeder hier ist mit jedem verwandt, „bei uns herrscht gelebte Inzucht“. Dieser Satz wird erst so richtig bedeutsam, als der Bürgermeister tot aufgefunden wird, stilecht ist er am Höhepunkt des Naturkultes in der Gudenushöhle abgelegt worden.
Jetzt kommen die üblichen Krimi-Rituale in Gang, die aber nur zeigen, wie widerborstig eine Bevölkerung sein kann, die nicht verwaltet werden will, und schon gar nicht von einer Zentrale aus. (…)
Die Lösung darf auch bei einem Nicht-Krimi hier nicht verraten werden, nur so viel: Es gibt eine offizielle Lösung, die in die Archive wandert. Und dann erleichtern sich die Beteiligten untereinander mit Geständnissen, die jeder stillschweigend verschwinden lässt. Die echte Wahrheit vom Kaltviertel kann nämlich nicht in offiziellen Einrichtungen verwaltet werden, die trägt jeder kalt und steif in seinem eigenen Herzen herum.
Franz Kabelka erzählt von einem Lebensmodell, das in der Peripherie der Gesellschaft dem Überleben dient. Probleme, die von außen in das Soziotop getragen werden, und sei es nur die Windkraft, bringen alles zum Erzittern. Dabei sind die Faustregeln fürs Überleben sehr klar: „Und warum trinkt man schon zu viel? – Weil man nicht so gut drauf ist. Vermutlich.“
(Rezension: Helmuth Schönauer, Gegenwartsliteratur 2652)
Ingrid Bertel: Hackl ins Kreuz
Landkrimis erfreuen sich anhaltender Beliebtheit, und so lässt Franz Kabelka seine Frieda Prohaska nach ihrem Ausflug ins indische Kerala wieder danach fragen, was die österreichische Provinz so tödlich macht.
Penzdorf im Waldviertel – das ist ein Ort, der nicht von ungefähr an Braunschlag erinnert oder auch an Dorf Ilm, wo vier Frauen regelmäßig ungewöhnliche Todesfälle aufklären. Auch Penzdorf hat einen geldgierigen Bürgermeister, einen windigen Oppositionspolitiker, eine vergiftete Atmosphäre, eine lastende Vergangenheit. Und für diese Vergangenheit gibt es einen emblematisch finstern Ort: die Gudenushöhle. Sie trägt den Namen eines niederösterreichischen Landadeligen und ehemaligen Bundesrats. Womit die politischen Koordinaten des Krimis skizziert wären.
Knochen und Werkzeug aus der Älteren Steinzeit wurden in der Gudenus-Höhle gefunden, auch die Ritzzeichnung eines Rentierkopfes auf einem Adlerknochen. Rentiere im Waldviertel? Ein paar Scherzbolde nennen es deshalb „Kaltviertel“. Und dafür gibt es mehr als klimatische Gründe.
Die Journalistin Frieda Prohaska ist nach gefährlichen Recherchen über Schwermetalle in Ayurveda-Produkten aus Indien zurückgekehrt. In ihrem Geburtsort Penzing will sie zu sich selbst finden, denn die Zukunft, die vor ihr liegt, ist ziemlich verworren. Wenn schon Waldviertel, dann könne sie doch gleich für eine Reportage über Windanlagen recherchieren, bietet ihr der Magazinchef an. Denn Penzing liegt gleichsam im Auge eines Hurricanes.
Der Wind, der Wind, das himmlische Kind!
Weil durch die Wälder des Waldviertels beständig der böhmische Wind pfeift, sind Windanlagen rentabel. Ein heimischer Betreiber setzt sich mit seinem Cousin, dem Bürgermeister Ernst Kastner, ins Einvernehmen. Der hat allerdings in seinem früheren Freund, dem Unternehmer Gottfried Gerstl, einen erbitterten Gegner. Gerstl geht gar so weit, in Erwinland aus der ÖVP auszutreten und eine freiheitliche Initiative gegen Windanlagen zu starten. Traurig lächelt der Sozialdemokrat Walter Fuchs, Erbauer des ersten Windrads in Penzdorf: „… als Einzelner kannst‘ halt nur klein anfangen, nicht wahr – und musst auch klein aufhören.“
Wie wahr. Und wie unprätenziös gesagt. Fein klingen Erfahrung, Beobachtung und Nachdenklichkeit zusammen, und eine philosophische Haltung setzt Kabelka ungezwungen in den lokalen Kontext: „Das Schlechte rührt daher, sagt Sokrates, dass der Mensch sich über das Gute irrt.“
Brettl vorm Kopf
Nicht so brillant sind dagegen Kabelkas Dialoge. So lässt er etwa einen Bürgermeister, der vor Wut beinahe platzt, ins Handy schreien: „Der hat Blut geleckt. Außerdem kriegt der von außerhalb Ezzes, die Oberösterreicher liefern ihm die Munition frei Haus. Und jetzt hat sich auch noch die Wiener Ärztekammer besorgt wegen des Infraschalls geäußert …“ Dass einem Dorfbürgermeister in solcher Lage der schöne Genitiv „wegen des Infraschalls“ zu Gebote steht, rückt ihn uns LeserInnen nicht eben nahe. Und was sollen wir von einem Kind denken, das uns der Autor als vollkommen verstört darstellt – und dessen innerer Monolog sich im Augenblick größter Bedrohung doch abgeklärt und kühl-taxierend liest wie ein Oneliner aus dem Mund von Tom Cruise: „Mehrfach versuchte ich Augenkontakt mit ihm herzustellen, aber er wich mir beharrlich aus.“
Es wird reichlich gemordet im Gemeinderat von Penzdorf. Das hat allerdings wenig zu tun mit der Windanlage, um derentwillen sich die ehemaligen Freunde Gerstl, Kastner und Ramtesteiner derart fundamental zerkracht haben. Der Grund liegt viel weiter in der Vergangenheit, in der Gudenushöhle – und Frieda Prohaska wird eher unfreiwillig in diese Geschichte hineingezogen, wo sie doch nur dem Buben ihrer Freundin das Märchen von Hänsel und Gretel vorlesen wollte. Wer knuspert da am Häuschen? Der Wind, der Wind, das himmlische Kind!
(Ingrid Bertel, Rezension in: Kultur. Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, 5. September 2017)
https://www.kulturzeitschrift.at/kritiken/literatur/hackl-ins-kreuz-kaltviertel-von-franz-kabelka
Christa Dietrich: Das Böse ist interessant, das Geschick aber noch viel interessanter
Schriftsteller und Pädagoge Franz Kabelka hat mit „Kaltviertel“ einen weiteren Krimi vorgelegt.
Man erinnere sich, Franz Kabelka hat die Handlung seiner Geschichten auch schon in Vorarlberg angesiedelt. Chefinspektor Tone Hagen ermittelt etwa in „Letzte Herberge“ im Oberland, und beim Lesen von „Heimkehr“ begibt man sich auf die Feldkircher Schattenburg, wo immer noch eine so martialische Waffe wie eine Hellebarde verwahrt wird, die der Schriftsteller (Jahrgang 1954) keinesfalls nur als Zierwerk zum Einsatz kommen lässt. Um Mord geht es bei Kabelka aber auch dann nicht immer, wenn Krimi auf dem Einband steht. Der mittlerweile ehemalige AHS-Lehrer, der sich einst als Lyriker unter die Autoren begab, hat sich auch schon mit Wirtschaftskriminalität bzw. Medikamentenpanscherei befasst. Die Recherchen hatten ihn bis nach Indien geführt.
So weit weg musste er für „Kaltviertel“, das Buch, das nun vorliegt, nicht reisen, man errät es leicht, der Krimi spielt im Waldviertel und verdankt den Ort seiner Handlung auch dem Verlagsteam in der Bibliothek der Provinz. Im Gespräch kam man nämlich auf das Thema Windkraft, das in dieser Gegend Österreichs die Menschen besonders bewegt, die sich bislang recht erfolgreich gegen riesige Windräder auflehnten.
Außenseiter in der Gesellschaft
Einen Monat habe er im Waldviertel zugebracht. In seinem Buch überlässt er einer Journalistin die Recherchen, die für ein Magazin arbeitet. Besagte Dame hat ein bewegtes Vorleben und steht bald auch nicht mehr im Mittelpunkt, denn es offenbaren sich Tragödien, die sich bereits vor Jahren ereigneten. Das eigentliche Thema, das ihn letztlich beschäftigte, ist der Umgang der Gesellschaft mit Außenseitern. Einerseits ist das ein Typ, der sozusagen alternativ auf einem Hof lebt, und in einem anderen Fall ist das ein Kind mit dem Down-Syndrom. Missbrauch und schließlich auch Mord sind weitere Themen. „Krimis haben eine klare Form, ich schreibe keine bluttriefenden Thriller“, erklärt Kabelka im Gespräch mit den VN, warum er überhaupt beim Kriminalroman landete. Dass man Fährten, die man gelegt hat, wieder auflösen muss, dass man das Ende nicht offenlassen kann, fasziniert den Schriftsteller. So interessant wie das Böse sei für ihn auch die Geschicklichkeit, die ein Krimiautor haben müsse. Franz Kabelka stammt übrigens aus Oberösterreich und lebt schon lange in Vorarlberg, und zwar „mit Leidenschaft“, sagt er.
(cd, Rezension in den Vorarlberger Nachrichten vom 19. September 2017)
Anton Thuswaldner: Aus Gier und Neid braut sich ein Rachedrama
Aus schrecklichen Burschen sind nur dem Anschein nach honorige Bürger geworden.
Der Roman sieht aus wie ein klassisches Rachedrama. Zwei Jugendliche wurden von vier anderen Jugendlichen geschändet. Und nachdem die Jahre ins Land gezogen sind, kommt einer von beiden zurück und stellt einen Verbrecher nach dem anderen. Wenn Gerechtigkeit nicht zu haben ist, darf sich das Opfer von einst zum Täter aufschwingen, ein Mord bedeutet in einem Rachedrama nichts Ehrenrühriges. Es hat den Anschein, als ob Franz Kabelka, ein in Vorarlberg lebender Oberösterreicher mit Krimierfahrung, strikt nach Plan vorginge. Tatsächlich aber möchte er offenbar doch lieber die gesellschaftlichen Strukturen in der österreichischen Provinz ausloten.
Wir befinden uns im Waldviertel, auf das wegen der Frostigkeit seiner Bewohner der Begriff „Kaltviertel“ angewendet wird. Aus den schrecklichen Burschen von einst sind honorige Bürger geworden, Stützen der Gesellschaft, würde Henrik Ibsen sagen, der wenig Zutrauen in die Friedfertigkeit jener besaß, die an der Macht teilhaben durften. Gier und Neid sind das Öl, das die Intrigen am Laufen hält. Dabei sind die Konflikte, die im Dorf ausgetragen werden, auf österreichisches Maß zurückgeschraubt. Einer wechselt von der ÖVP zur FPÖ – des Eigennutzes wegen. So werden aus besten Freunden Widersacher, treu im Hass aufeinander vereint. Im Gemeinderat gehen die Wogen hoch, wenn verhandelt wird, ob Windräder ins Dorf geholt werden. Es geht nicht um die Sache, sondern ein Duell zwischen dem Bürgermeister und seinem Gegner findet statt: der Ego-Giganten.
Die Aufmerksamkeit liegt auf der Gegenwart, für diesen Bürgermeister gibt es eine Vergangenheit, in der er schuldig geworden ist, gar nicht. Franz Kabelka schildert ihn als fiesen Kerl. Auch zu seinen Spießgesellen von damals fällt ihm kein gutes Wort ein, sie waren Übeltäter und sind es geblieben, vielleicht haben sie an Kaltblütigkeit noch dazugewonnen.
Bei so viel miesem Karma ist man auf Gegenspieler angewiesen, die die Welt als einen doch nicht vollkommen finsteren Ort ausweisen. Zwei davon kommen von außen. Beide haben das Dorf verlassen, und jetzt bringen sie etwas Gedankentiefe und Seelenfrieden zurück. Doch halt, das ist nur ein Kabelka’scher Trick, dem Leser zu zeigen, dass edle Charaktere sich von der Infamie rundum nicht beeindrucken lassen. Derjenige, der sich Gunnar nennt, als Kind vergewaltigt, wird die Schande nie mehr los. Er hat es zu Ansehen und Vermögen gebracht, indem er aus dem Leid von einst Kunstwerke schafft. Früher musste er den Errungenschaften der Zivilisation abschwören, da sein Vater so tat, als wären alle Familienmitglieder echte Germanen. Sie lebten in einem Holzbau, waren das Gespött der Gegend. Deshalb waren die Buben prädestiniert als Opfer für dumpfe Burschenfantasien.
Gunnar, der Gute, ein Mann mit Charakter und Aura. Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass er sich jetzt die Widerlinge vorknöpft und sie zur Rechenschaft zieht. Aber es gehört zur Strategie von Rachedramen, dass für Gerechtigkeit mit illegitimen Mitteln gesorgt wird. Dann ist dem Gefühl des Ausgleichs Genüge getan. Und um Gefühle geht es ja in diesem Buch, das eine Antwort auf die Ungerechtigkeit gibt.
Alle haben Gründe, den Dorfbeherrschern eines auszuwischen. Zu trauen ist niemandem, so viel Misstrauen bleibt bei Franz Kabelka schon. Derart viel an Hass und Wut hat sich aufgestaut, dass auch die braven Bürger tickende Zeitbomben sind. Eine Figur jedoch steht jenseits aller missliebigen Zuschreibungen, ein Jugendlicher mit Downsyndrom. Er kennt keine Falschheit, seine Freude ist ehrlich. Die anderen taktieren, paktieren, spielen nie mit offenen Karten. Aber so ist das unter Menschen nun einmal, da kann man Kabelka keinen Vorwurf machen.
(Anton Thuswaldner, Rezension in den Salzburger Nachrichten vom 20. Jänner 2018)