Salzkammergut – Ausseerland
Widerstand und Partisanenbewegung 1943–1945 · Eine Materialsammlung von Peter Kammerstätter
Raphael Besenbäck, Peter Kammerstätter
ISBN: 978-3-99126-252-7
24,5×17 cm, XXVII, 777 Seiten, mit ca. 192 S/W-Abb., Hardcover m. Lesebändchen | [Faksimile-Ausgabe]
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Kurzbeschreibung
Peter Kammerstätter sammelte die Erfahrung jener Menschen, die sonst nicht zu Wort gekommen wären. Ohne seine unermüdliche Tätigkeit wären heute nur wenige Fragmente über die Widerstandsbewegung im Salzkammergut bekannt. Die Publikation soll an diese Menschen erinnern.
Der entscheidende Punkt bei mir ist: daß über die Großen geschrieben wird, und über die Kleinen wird nicht geschrieben.
[Orginaltitel: „Materialsammlung über die Widerstands- und Partisanenbewegung Willy-Fred.“ |
Hrsg. von Raphael Besenbäck |
Mit einer Einleitung von Wolfgang Quatember und einer Überblicksbibliographie zu Peter Kammerstätter]
Rezensionen
Edmund Brandner: Als Menschen vom Gebirge aus gegen die Nazis kämpftenEin neues Buch erzählt die Geschichte des Widerstands im Salzkammergut
Dies ist die Geschichte zweier Männer. Sepp Plieseis hieß der eine. 1913 geboren, wuchs er als Arbeiterkind in ärmsten Verhältnissen im Bad Ischler Ortsteil Lauffen auf und fand früh im Sozialismus seine politische Heimat.
Plieseis stand bei den Februarkämpfen 1934 in Ebensee in den Reihen des Republikanischen Schutzbundes. 1937 ging er nach Spanien und kämpfte im Bürgerkrieg aufseiten der Republikaner. Nach dem Sieg der Faschisten wurde er verhaftet und von den Nationalsozialisten im KZ Dachau interniert. Als der 30-Jährige für Zwangsarbeiten nach Hallein verlegt wurde, gelang ihm von dort aus die Flucht. Plieseis schlug sich über die Osterhorngruppe in seine Heimat im Salzkammergut durch, tauchte hier unter und gründete die Widerstandsgruppe „Willy“.
Netzwerk im Gebirge
Am Fuß des Schönbergs (Wildenkogel) richteten sich die Partisanen ein Versteck ein („Igel“), das die Nazis nie entdecken sollten. Die Gruppe setzte nicht auf militärische Störaktionen, sondern baute zwischen Bad Ischl und Bad Aussee ein Netzwerk auf, das mehr als 500 Frauen und Männer umfasste. Wehrdienstverweigerer wurden im Gebirge versteckt und versorgt, ein Informationsnetzwerk wurde aufgebaut. Für die Nationalsozialisten bedeutete allein die Existenz der Widerstandsgruppe einen öffentlichen Kontrollverlust.
Nach dem Krieg wurde Plieseis von der US-Besatzungsarmee kurze Zeit als Berater verpflichtet und verdingte sich danach als Beamter im Bad Ischler Rathaus. Als er 1966 starb, war die Geschichte des Widerstands im Salzkammergut aber längst vergessen. Weder die Politik noch Historiker griffen nach 1945 das Thema auf – vor allem deshalb, weil viele Widerständler (inklusive Sepp Plieseis) dem Kommunismus sehr nahestanden.
Und da kommt der zweite Mann ins Spiel. Peter Kammerstätter hieß er. Der Linzer war zwei Jahre älter als Plieseis, gelernter Elektriker und ebenfalls ein Kommunist, der wegen seiner politischen Überzeugung im KZ (Buchenwald) festgehalten wurde. Kammerstätter arbeitete nach dem Krieg in der VÖEST, wo er 1971 als Betriebsrat in Pension ging.
Unvergesslich machte sich Kammerstätter aber als Historiker. Der Autodidakt widmete sich dabei vor allem dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Und Kammerstätter war es auch, der die Kämpfer um Sepp Plieseis vor dem Vergessen bewahrte. Ausgestattet mit einem Kassettenrekorder befragte er nach dem Krieg Hunderte Männer und Frauen und hielt ihre Erinnerungen fest. Als leidenschaftlicher Bergsteiger organisierte er geführte Wanderungen auf den Spuren der Partisanen und legte eine umfangreiche Materialsammlung an. Nicht zuletzt die Gründung des Zeitgeschichte-Museums Ebensee (ursprünglich „Widerstandsmuseum“ genannt) geht auf seine Initiative zurück.
Peter Kammerstätters wichtigstes Vermächtnis sind 20 Typoskripte. 780 maschinengeschriebene Seiten, auf denen er die Erinnerungen der Zeitzeugen festhielt. Er reichte Durchschläge der Typoskripte an einige ausgewählte Bibliotheken, Archive und das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) weiter. Generationen von Historikern dienten sie als Basis. „Die Tatsache, dass zahlreiche Dissertationen, Diplom- und Seminararbeiten, Fachbücher, Wanderführer, Dokumentar- und Spielfilme, Ausstellungen, Radiofeatures, Novellen und Romane publiziert wurden und bis heute Exkursionen zu den Originalschauplätzen stattfinden, ist Peter Kammerstätters Verdienst“, sagt Wolfgang Quatember, Gründer und Leiter des Zeitgeschichte-Museums Ebensee.
Die Erinnerungen sind bewahrt
Und jetzt kommt der Anlass dieses Artikels: Die Bibliothek der Provinz hat 31 Jahre nach dem Tod Kammerstätters als erster Verlag das Wagnis auf sich genommen, die Typoskripte in Buchform zu veröffentlichen. „Salzkammergut – Ausseerland. Widerstand und Partisanenbewegung 1943–1945“ heißt der Schmöker. Und so spröde dieser Titel ist, so berührend ist sein Inhalt. Kammerstätter hat die Erzählungen der Zeitzeugen aneinandergereiht. In Summe ergeben sie einen spannenden Erzählbogen, ein vielstimmiges Kaleidoskop der Auflehnung gegen Krieg und Faschismus in Gebirgsverstecken, Dachböden und Heustadeln. Seine Niederschrift solle „nur ein Beitrag, eine Anregung sein“, schreibt Kammerstätter in seiner bescheidenen Vorrede. In Wahrheit ist dieses Buch aber schon jetzt ein Standardwerk für alle, die an der Geschichte des Salzkammerguts interessiert sind. Und es ist spannender zu lesen als jeder Krimi.
Das Vermächtnis von Plieseis und Kammerstätter färbt übrigens auch auf die Kulturhauptstadt Europas ab: In Bad Ischl wird heuer ein Platz nach Resi Pesendorf benannt – einer Widerstandskämpferin und engen Vertraute Plieseis. Außerdem wird im Kulturhauptstadtjahr eine offizielle Fahrradroute auf den Spuren der Partisanen eröffnet.
(Edmund Brandner, Rezension in den Oberösterreichischen Nachrichten | Salzkammergut Nachrichten vom 26. Februar 2024, S. 24)
https://www.nachrichten.at/oberoesterreich/salzkammergut/als-menschen-vom-gebirge-aus-gegen-die-nazis-kaempften;art71,3925439
Wolfgang Quatember: [Rezension]
Im Kulturhauptstadtjahr 2024 im Salzkammergut erscheinen zahlreiche Bildbände, Dokumentationen und wissenschaftliche Texte über die Region zwischen Gmunden und dem Ausseerland. Ein Buch verdient besondere Erwähnung, weil es sich den Frauen und Männern widmet, die unter Einsatz ihres Lebens dem Nationalsozialismus widerstanden haben. Die von Peter Kammerstätter recherchierte „Materialsammlung zur Widerstands- und Partisanenbewegung 1943–1945“ ist unter der Leitung von Raphael Besenbäck im Verlag „Bibliothek der Provinz“ publiziert worden.
Peter Kammerstätter (1913–1993), selbst 1939 wegen politischer Betätigung in Buchenwald inhaftiert, hat seine 780-seitige Materialsammlung in jahrelanger Arbeit 1978 in nur wenigen Typoskripten ausgewählten Bibliotheken und historischen Forschungsstätten übergeben. Mit einem Kassettenrecorder ausgestattet, suchte er in den 1960er und 1970er-Jahren noch lebende ZeitzeugInnen auf, um ihre erzählten Erinnerungen aufzuzeichnen. Ergänzt durch originale Dokumente und Fotos entstanden zwei stattliche Bände, die der Öffentlichkeit bisher kaum zugänglich waren. Peter Kammerstätter hat damit die Frauen und Männer um den legendären Sepp Plieseis dem Vergessen entrissen.
Im Zentrum der Materialsammlung steht der Unterschlupf mit dem Decknamen „Igel“ am Fuß des Schönbergs im Toten Gebirges. Der Aufbau des Partisanenstützpunktes, das Leben am „Igel“, die Versorgung durch ein Netzwerk im Tal, das mehrheitlich von Frauen organisiert wurde und die Aktionen der Männer stehen im Zentrum des Buches. Darüber hinaus wird auch die inzwischen verfilmte Rettung der Kunstwerke im Altausseer Salzbergwerk zum Thema. Das Außergewöhnliche an der Materialsammlung ist die Tatsache, dass die Beteiligten selbst zu Wort kommen. Es sind Erzählungen aus erster Hand, die Peter Kammerstätter verschriftlicht hat. Auf diese Weise wurde er auch, ohne es zu beabsichtigen, zum Vorreiter für die inzwischen etablierte Methode der „oral history“. Das Buch ist eine „Geschichte der kleinen Leute“, die sonst kein Gehör gefunden hätten. Sepp Plieseis, Alois Straubinger, Karl Gitzoller, Resi Pesendorfer, Leni Egger oder Marianne Feldhammer und ihr Beitrag zur Befreiung Österreichs wäre längst vergessen.
Das Kulturhauptstadtjahr 2024 gibt Gelegenheit, gerade diesen Menschen und ihrem Widerstandsgeist ein Denkmal zu setzen. Durch die Publikation dieses umfangreichen Buches ist ein wesentlicher Beitrag gelungen, den „widerborstigen“ (Franz Kain) Frauen und Männern des Salzkammerguts die Ehre zu Teil werden zu lassen, die ihnen die österreichische Gesellschaft zu ihren Lebzeiten verwehrt hatte.
(Wolfgang Quatember, Rezension in: Der Sozialdemokratische Kämpfer. Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen, № 04-05-06/2024, S. 20)
http://www.freiheitskaempfer.at/wp-content/uploads/2024/06/Kaempfer-4_5_6_2024.pdf#page=20
Helmut Friedrichsmeier: [Rezension]
Seit der Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres in Bad Ischl hat der Begriff „widerständig“ im Zusammenhang mit der „Seele“ der Salzkammergut-Bewohner eine größere mediale Verbreitung erfahren. Widerständigkeit würde Sturheit und Entschlossenheit, vor allem aber die persönliche Haltung bedeuten, sich von der Obrigkeit nichts vorschreiben zu lassen. In diesem Buch geht es aber nicht um Widerstand im privaten oder unmittelbaren persönlichen Nahbereich, sondern um den Widerstand gegen eine Obrigkeit, nämlich das NS-Regime, der durchaus lebensgefährlich werden konnte. Schon als Kind, der ich in den letzten Kriegsmonaten in Ischl geboren wurde und aufgewachsen bin, habe ich aus dem Mund meiner Großmutter öfters die Namen Pliseis, Pesendorfer oder Gaiswinkler, um nur einige dieser Widerstandskämpfer beispielhaft zu nennen, gehört. Damals, das heißt in den unmittelbaren Nachkriegsjahren nahmen diese Namen für mich beinahe einen „mythischen“ Charakter an, sprach doch meine Großmutter mit großem Respekt von diesen Leuten, die – da sie selbst aus dem bürgerlichen Lager kam – für sie allerdings den „Nachteil“ hatten, dass sie Sozialisten oder gar Kommunisten waren. Man wird diese Einstellung wahrscheinlich rückblickend verstehen, wenn man bedenkt, dass diese Meinung vom Eindruck der damaligen stalinistischen Terrorherrschaft in der kommunistischen Sowjetunion geprägt war. Ich selbst ordnete in meiner kindlichen Phantasie die genannten Widerstandskämpfer eher dem Bild der Wilderer oder Freischärler, die sich im Gebirge versteckten, zu. Soweit einige persönliche Erinnerungen, die mich veranlasst haben, dieses Buch zu lesen und im „Traunspiegel“ vorzustellen.
Es ist – was die bloße Seitenzahl betrifft, ein durchaus ambitioniertes Buch, denn immerhin sprechen wir – ohne Literatur-und Quellenverzeichnis – von etwas mehr als 750 Seiten. Wer sich aber mit der Geschichte des Salzkammerguts in dieser sogenannten „dunklen Zeit“ befassen will, kommt hier im Sinne der „oral history“ voll und ganz auf seine Rechnung. Die Tagebuchaufzeichnungen und Notizen, die Wiedergabe von persönlichen Gesprächen und Interviews mit den damals im Widerstand handelnden Personen, lassen einen an diesem gefährlichen Leben und Einsätzen beinahe als unmittelbare Beobachter teilnehmen. Das Verdienst für diese akribischen Dokumentation gebührt dem bereits verstorbenen Historiker und ebenfalls Widerstandskämpfer Peter Kammerstätter, der die Quellen gesammelt und die Gespräche mit den handelnden Personen in bester Art der schon angesprochenen „oral history“ geführt hat. In diesem Sinn wird so mancher Leser bzw. Leserin in den handelnden Personen vielleicht auch ehemalige persönliche Bekannte oder Nachbarn wiederfinden, oder, wie ich selbst, diese als reale Legendengestalten im Gebirge empfinden.
Dem Herausgeber R. Besenbäck wiederum kommt das Verdienst zu, das von Peter Kammerstätter hinterlassene Dokumentationsmaterial in kompakter Buchform aufbereitet zu haben.
Es mag ja eine Zufälligkeit oder gar eine Ironie der Geschichte sein, dass führende NS-Funktionäre vornehme, arisierte Villen im Tal bewohnten, während sich die „Widerständler“ in den Bergen des Salzkammerguts in Hütten und Höhlen verstecken mussten.
Ich betrachte somit, um einen Schlusspunkt zu setzen, dieses Buch als einen sehr wertvollen und wichtigen Beitrag zum Kulturhauptstadt-Jahr 2024, um vergessene Namen abseits von den bekannten, glamourösen Namen von Aristokraten oder Künstlern etc. wieder dem Vergessen zu entreißen.
(Helmut Friedrichsmeier, Rezension im Traunspiegel)
Gregor Auenhammer: Wider das Vergessen im „Salzkammerguţ – Ausseerlanđ“
Als Stachel im Fleisch der selbstgerechten Saturiertheit, die dieser Tage anlässlich der Europäischen Kulturhauptstadt in der Region um Bad Ischl herrscht, darf Raphael Besenbäcks umfangreiches wie luzides Kompendium über Widerstand und Partisanenbewegung zwischen 1943 und 1945 im Salzkammergut – Ausseerland interpretiert werden. Unter Verwendung einer umfangreichen Materialsammlung von Peter Kammerstätter seziert Besenbäck die Ereignisse der letzten Kriegsjahre, die Mechanismen des verbrecherischen NS-Systems und die Mitwirkung der Bevölkerung; sowie deren passiven wie aktiven Widerstand.
„Der entscheidende Punkt bei mir ist: daß über die Großen geschrieben wird, und über die Kleinen wird nicht geschrieben“, hielt Peter Kammerstätter programmatisch im Vorwort seiner Dokumentation fest. Peter Kammerstätter (1911–1993), in Triest geborener österreichischer Widerstandskämpfer, Politiker, Heimatforscher und Volksbildner, sammelte die Erfahrung jener Menschen, die sonst nicht zu Wort gekommen wären.
Ohne seine unermüdliche Tätigkeit wäre heute nur weniges zur Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus im Salzkammergut und im Speziellen im Ausseerland bekannt. Die nun posthum erfolgte erstmalige Publikation seiner Materialsammlung ermöglicht, mit diesen Menschen, ihrer Zeit und den Umständen ihres Handelns in Kontakt zu treten. Dokumentiert wird die Gruppe „Willy-Fred“, bestehend aus Karl Gitzoller, Sepp Plieseis und Alois Straubinger, mitsamt den rund 500 im Hintergrund wirkenden Personen. Die Gruppe, zum Teil „einfache Menschen“, im Bergbau beschäftigt, in der Landwirtschaft, in der Gemeinde tätig, organisierte den Widerstand gegen das Naziregime in der Bevölkerung, rettete Kunstwerke aus dem Salzbergwerk und ermöglichte zu Kriegsende eine friedliche Übergabe an die Alliierten. Die in diversen Hollywood-Streifen verklärte Aktion war minutiös vorbereitet worden, die geplante Vernichtung eines großen Teils des österreichischen Weltkulturerbes durch Umsicht und List, Verve und Empathie vereitelt worden. In zahlreichen Interviews erzählen die Beteiligten ihre Geschichten zur Flucht der Männer, zur Rettung der Kunstschätze, dem Versteck im Toten Gebirge und den Gefahren des Widerstands.
Kammerstätters Verständnis bestand darin, dass diese seine Dokumentation – eine frühe Form der „oral history“ – Grundlage historischer Arbeit sein sollte. Dem Mut von Verleger Richard Pils ist zu verdanken, dass das komplette komplexe Konvolut als Kompendium der Dokumentation nun als Faksimile nachvollziehbar ist. Zeitgeschichte in Reinkultur.
(Gregor Auenhammer, Rezension im Standard vom 5. August 2024, S. 19)
https://www.derstandard.at/story/3000000230965/wider-das-vergessen-im-salzkammergut-ausseerland
Hörproben
Ö1 Radiokolleg, 10.1.2024
Ein von Günther Kaindlstorfer gestaltetes Radiokolleg zum Thema.