
Nora Sophie Aigner
https://www.norasophie.at/wächst im hohen Norden Niederösterreichs auf. Ihre Liebe zu Worten entdeckt die Jungpoetin aufgrund eines Schicksalsschlags. Im Alter von 21 Jahren erkrankt sie am »Eagle-Syndrom«, einer sehr seltenen und äußerst schmerzhaften Erkrankung, die nur 0,16% der Menschen weltweit betrifft. Über Nacht erleidet die damalige Studentin einen langanhaltenden Stimmverlust und kann plötzlich über Jahre hinweg nicht mehr sprechen. Schlucken, Essen und Kopfbewegungen sind mit enormen Schmerzen verbunden. Dennoch werden Noras Symptome von den Ärzt*innen lange nicht erkannt und daher nicht ernst genommen, sondern oft als Einbildung abgetan. Dies führt zu einer Periode sozialer Isolation und Verzweiflung, bis schließlich viel später die richtige Diagnose gestellt wird: Zwei überlange Knochenfortsätze (bzw. verknöcherte Bänder) im Hals komprimieren Hirnnerven und Blutgefäße und verursachen so gravierende Probleme. Online vernetzt sich Nora mit anderen Betroffenen und stellt fest, dass zahlreiche Patient*innen trotz höchstem Leidensdruck ähnliches Medical Gaslighting erlebt haben. Viele sind suizidgefährdet. Die »Krankheit der 1000 Symptome« wird auch als »stiller Killer« beschrieben. Zu diesem Zeitpunkt ist das Wissen um das »Eagle-Syndrom« noch sehr dürftig, was schwerwiegende Fehler in der klinischen Vorgehensweise zur Folge hat.
Trotz zweier kritischer Operationen, bei denen die scharfen Knochensporne nicht vollständig entfernt werden, bleibt ein Großteil von Noras Schmerzen weiterbestehen. Die anhaltende Kompression im Nacken, ausgelöst durch die verbliebenen Verknöcherungen, führt zu einer Blockade des Blutabflusses aus dem Gehirn. Dies verursacht Ausweitungen in den zentralen Halsvenen und Komplikationen wie lähmenden intrakraniellen Hochdruck, Sauerstoffmangel im Gehirn und kognitive Beeinträchtigung.
Lange Zeit scheint es keine Aussicht auf Besserung zu geben. Nora reist unter beschwerlichsten Umständen für spezielle medizinische Behandlungen dutzende Male in Kliniken in der Schweiz, Spanien, Italien, Deutschland, Dänemark, Holland bis in den Wilden Westen der USA. Stift und Papier trägt sie immer bei sich, denn Schreiben ist ihre zentrale Ausdrucksmöglichkeit. Aus diesem bloßen Hilfsmittel zur Kommunikation entsteht die Leidenschaft zum Schreiben von Gedichten. Die Poesie wird zum Ventil, das ihr zurück ins Leben hilft.Nora entwickelt sich zu einer starken Patient Advocate und wird durch öffentliche Kampagnen zur »Stimme« für viele.
Am Wiener Opernball tanzt sie als Botschafterin für Menschen mit Seltenen Erkrankungen im Jungdamen-Komitee. Sie wird Mitglied von Pro Rare Austria. Mit ihrem YouTube-Video #voicefornora schafft sie internationales Bewusstsein und erntet Solidarität von namhaften Persönlichkeiten, darunter Thomas Brezina, Ina Regen, das Magier Duo The Clairvoyants, Poetry-Slam-Vizeweltmeister Sebastian 23 und viele mehr. Auch der Bundespräsident unterstützt Noras Kampagne. Sie beginnt mediale Aufmerksamkeit zu erhalten. TV und Radio berichten und ihre Geschichte erscheint auf den Titelseiten von Zeitungen. Ein Meilenstein für die »Eagle-Syndrom Bewegung«.
Nach ihrer Studienunterbrechung und mit Unterstützung ihrer Familie beendet die gebürtige Waldviertlerin ihr Lehramtsstudium in den Fächern Französisch und Psychologie/Philosophie an der Universität Wien mit Auszeichnung. Im Zuge ihrer Diplomarbeit erfasst Nora erstmalig Kontinente übergreifend die sozialen Aspekte ihrer Rare Disease. Krankenhausaufenthalte, neuerliche Untersuchungen und hohe Behandlungskosten prägen weiterhin ihren Alltag. Erst nach Jahren erfolgloser Therapieversuche zeigt sich, dass die ersten beiden Operationen unzureichend verlaufen sind und eine dritte und vierte Revisionsoperation in der heiklen Schädelregion erfordern. Diese werden von einem ausgezeichneten Chirurgen im Ausland durchgeführt. Doch chronifizierte Funktionsstörungen und früher entstandene Schäden bleiben bestehen, sodass Noras vollständige Genesung auch heute ungewiss ist. Dank den Bemühungen von Spezialist*innen werden einige Fortschritte erzielt, die allmählich ihre Stimme wiederherstellen. Noras TED Talk im Wiener Volkstheater ist der Beweis dafür, dass es sich lohnt, durchzuhalten. Als jüngste Speakerin der Konferenz unter dem Motto »Untold« rührt sie mit der Erzählung ihrer Geschichte Hunderte im Publikum zu Tränen. Dies führt zu Rückmeldungen von Patient*innen aus der ganzen Welt. Neue Begegnungen eröffnen ihr später die Möglichkeit kreativer Projekte, die sie nach London und NYC bringen werden. Es entsteht die Englischfassung des ersten Lyrikbandes »Shhh … A Voice from the Silent Side«. Die gesundheitlichen Einschränkungen führen dazu, dass Noras Weg der Zukunft offen ist. Medizinischen Behandlungen muss sie sich nach wie vor täglich unterziehen. Sie kämpft gegen ihre Schmerzen an und erinnert an die Kostbarkeit unserer Stimme. Die Hoffnung auf Heilung hat sie sich bis heute bewahrt. Nach Jahren des Schweigens nutzt Nora nun die Bühne, um ihre Botschaft durch Poesie zu verbreiten: Niemals aufgeben!
Foto: © Raimund Nics