
Neuherz
Erzählungen
Friedrich Hahn
ISBN: 978-3-85252-416-0
21×15 cm, 80 Seiten, Hardcover
13,00 €
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Kurzbeschreibung
neuherz
robert neuherz hat ein faible für herzen. herzen aus maschendraht, aus lebkuchen, aus stein, plastik, aus allem möglichen.
sein eigenes ist ein kitschiges zierkissen mit rüschenbesatz. kleine, aufgedruckte pfeile machen ein hübsches muster.
nicht oft, aber doch hin und wieder, hat robert neuherz sein zierkissen schon verloren. dann bekommt es erst flügel. und zuletzt immer einen riß.
wenn robert neuherz liebt, spricht sein zierkissen in einer fremden sprache zu ihm. nie noch hat er den code knacken können. so zieren die wand hinter seinem bett kirchtagsherzen, herzförmige blumengewinde, strohhalme, röhrchen, die sich zu herzformen winden.
die herzen von robert haben alle eine geschichte. seinen geliebten jagt neuherz nach, als gälte es, ein phantom zu stellen. je ferner, aussichtsloser, umso besessener.
einmal trat ein wesen aus der nachbarschaft in sein leben, und ließ roberts herz ganz mächtige flügel wachsen. blond, von zierlicher gestalt, elegant. er hatte bald einige gewohnheiten dieses engels herausbekommen. wo sie einkaufte, welches auto sie fuhr. in den oskar-gekrönten filmen geht alles immer sehr einfach. sie wäscht ihm die haare, ein tiefer blick, boing und da ist sie: die liebe. noch ein kurzes adagio, klarinetten, ein bißchen mozart, na gut. robert neuherz überlegte. er schrieb ein geständnis seiner liebe, füllte zu lange sätze mit viel zu kurzen wörtern, und steckte das kärtchen hinter den scheibenwischer des autos seiner angebeteten. name, telefonnummer, sie möge doch. war er zu weit gegangen? sein mut mit einem mal ein patzen schlechtes gewissen. in der zeit des wartens meinte neuherz, das leben sei ihm abhanden gekommen.
dann wieder genoß er es, daß die zeit lief, auch wenn er sie nicht nützen konnte. auch so eine form von glück. aber es ist nicht immer toll, wenn man glücklich ist. robert neuherz konzentrierte sich auf seine arbeit. etliche baustellen, die er zu betreuen hatte. seine architektur gefragt. erst ein einfamilienhaus in einem noblen vorort, mundpropaganda. sein stil postmodern, aber was war heute nicht postmodern. futuristische wohnmaschinen, aber durchaus brauchbar, bewohnbar. privat verhielt sich robert neuherz still. bieder fast. gütige indifferenz. vom licht beruflichen erfolgs in den schatten, die dumpfheit des wartens, der hoffnung.
einmal sah er SIE noch im supermarkt. er kontrollierte sich, ließ seine gefühle draußen, wie die hunde vorm billa. was robert neuherz in IHREM einkaufswagen ausmachte, deutete zwar auf einen singlehaushalt hin, aber so sicher war er sich auch wieder nicht. ein kurzer blickkontakt, das war alles, was er sich gestattete. es gibt überhaupt keine gültige mitteilung für das, was wir liebe nennen. aber neuherz war mehr denn je entschlossen, liebe liebe zu nennen. und nicht nur weil sie so hieß.
schließlich am 10. tag der anruf. ein mann. IHR mann. er klang bestimmt, resolut. neuherz hörte gar nicht hin. er wußte, was kam. neuherz hatte sich auch entschuldigt. aber so genau erinnert er sich nicht mehr an den wortlaut, den verlauf des gesprächs.
nachspüren, was die leeren seiten schon wissen. ein lektor, eine lektorin stellt die reihenfolge her. schafft die nötigen zwischenräume für eine nächste verwirrung. auch konjunktive helfen da nicht.
gefühle, wünsche, sehnsüchte, die an liebes-, triebesstelle treten. robert neuherz hatte seinen traumhaushalt längst ausgereizt …
Rezensionen
Josef Schweikhart: Aspirin am HimmelFriedrich Hahns pointillistische Textmarken
„Neuherz“ nennt sich der neue Erzählungsband von Friedrich Hahn, einem jener Autoren, die das Experimentelle mit einem lesbaren Erzählstrom verbinden. Hahn ist bekannt für seinen lakonischen Stil und ein „amerikanisches“ Understatement, das Autoren wie Richard Brautigan oder Raymond Carver auszeichnen.
In den vorliegenden Short stories Hahns kommt jene genaue Alltagspoesie zur Sprache, die leise und ironisch ein Gewebe von Beziehungsstrukturen aufspannt: Männer, die vergeblich nach Frauen suchen, Metaphern, die das problematische Partnerspiel aufs Korn nehmen. Ohne Scheu vor schmerzlichen Trivialitäten, banalen Durchschnittsschicksalen und einer beim Namen genannten Konsumrealität geistern und stromern in den vier Texten Leute durchs Leben. Was soll man auch tun, wenn Billa neben Rilke liegt und selbst Verona Feldbusch als Bild erscheint?
Architekt Robert Neuherz jagt den Phantomen der Liebe und einer Frau im Koma nach, ein Wesen namens Otto verliebt sich in die stumme Vera, der paranoide Maler Schrott erfindet sich die strippende Hemma als Idealfigur und Roman, der Romane, nämlich Liebeskrimis schreibt, treibt diverse Elkes, Katharinas oder Miriams unfreiwillig mit Meskalin in den Tod.
Zwischen die gebrochenen Geschichten schiebt sich immer wieder die Sprache ganz penetrant und selbstverständlich als zugleich einigendes und doch trennendes Medium. Da wird morgens kein Frühstück, sondern ein Satz geboten. Die Sonne versucht sich im Liebesschmerz als Aspirin am Himmel. Stille hat die Form eines Hauses. „als ziffer ist die null doch auch bloß ein O. ein bißchen drin und ein bißchen draußen ist immer noch besser, als immer mittendrin.“ Hoffnungsvolle Aussagen einer vergeblichen, am Rand vegetierenden Erotik?
Hahns Geschichten sind linear nicht nachzuerzählen. Kunstvoll verschränkt er Zufälligkeiten, Zeiten und Protagonisten, läßt sie im milden Wahn der Assoziationen nach Bedeutsamkeiten und altem Sinn suchen. Wohin mit der Psychologie, wenn der Text ganz vampirisch seine Personen einsaugt und als pointillistische Textmarken ausspuckt? Dazwischen immer wieder ein Bier. Zum Abklären und zur Illumination. Und Leute, die Fred, Luigi, Richie, Hermann, Hertha oder Herr Vanderwill heißen.
Es ist ein Kommen und Gehen in diesen Texten, Worte wie Namen, Substantive wie Comics, unbehauste Sätze, in denen sich alle eingerichtet haben irgendwie zu wohnen. Hahn konstruiert Gerüste, in die er seine minimalistischen Bausteine einhängt.
Irgendwie ist dann Neuherz doch ein metaphysischer Kardiologe und jeder versteckte Witz das Pars pro toto lachhafter Suchbewegungen: Liaisonen, Flirts, Amour fou, platonisches Geplänkel auch – und hinter all dem das Unwägbare von Wesen, die sich Mann und Frau nennen. Otto. Oder Mona. Oder Astrid.
In die unendliche Fließgeschichte der erotischen Mühen und Mißverständnisse hat Friedrich Hahn vier Erzählungen gehackt, die um Herzen kreisen. Sie bekommen ihren Schrittmacher. Und gelegentlich eine Transplantation.
(Josef Schweikhart, Rezension in der Presse vom 6. Juli 2002)
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Der Autor steht für Lesungen und Pressetermine NICHT zur Verfügung. Eine Nahaufhörerfahrung.