Bernhard-Tage Ohlsdorf 1999
„In die entgegengesetzte Richtung“ ; Thomas Bernhard und sein Großvater Johannes Freumbichler ; Materialien
Franz Gebesmair, Thomas Bernhard
ISBN: 978-3-85252-378-1
21 x 14 cm, 280 S., m. Abb., Hardcover
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Kurzbeschreibung
[Hrsg. von Franz Gebesmair …]
Manfred Mittermayer
»In die entgegengesetzte Richtung«
Johannes Freumbichler und Thomas Bernhard
Eine literarische Beziehung
»[…] deshalb hatte ich ja auch fortwährend Angst vor dem Einlassen mit diesem seinem Nachlaß, weil ich fürchtete, von dieser Beschäftigung vernichtet oder wenigstens zerstört oder wenigstens für immer dadurch irritiert zu sein, irreparabel.« (Thomas Bernhard: Korrektur)
1
Vor eines Dichters Grab heißt der erste eigene Text, an den sich Thomas Bernhard später erinnerte. Es handelt sich dabei um einen Zeitungsartikel, den er unter dem Pseudonym Niklas van Heerlen am 12. Juli 1950 im Salzburger Volksblatt veröffentlichte. Im Verlauf eines Spaziergangs »durch den idyllischen Maxgianer Friedhof« liest das journalistische Ich »an einer anscheinend vergessenen Grabstätte den Namen eines stillen Denkers und einzigartigen Dichters«, des Salzburger Schriftstellers Johannes Freumbichler. Zwar habe die Stadtgemeinde, so »Niklas van Heerlen« weiter, »einen der schönsten Wege der Stadt« nach diesem Autor benannt, sein Grab, immerhin ein Ehrengrab der Stadt, sei aber eineinhalb Jahre nach seinem Tod so »von Unkraut überwuchert«, daß man zu der Annahme kommen könnte, »hier ruhe ein Vergessener«.
2
Der Titel des Artikels benennt den Ausgangspunkt für Bernhards eigene literarische Laufbahn. »Vor dem Grab« Freumbichlers, seines Großvaters mütterlicherseits, beginnt er zu schreiben; als dieser seine Position als Schriftsteller freigibt, nimmt der Enkel seinen Platz ein: »[…] mein Großvater, der Dichter, war tot«, formuliert er in seinem autobiographischen Band Die Kälte (1981), »jetzt durfte ich schreiben, jetzt hatte ich die Möglichkeit, selbst zu dichten« (Kä 36). Sogar ein äußeres Zeichen dieser »translatio« der Autorschaft gibt es; wie von einem König zum anderen werden die Insignien des Schreibens weitergegeben – so wiederum der Erzähler der Autobiographie (Der Atem, 1978): die Wanderrasche mit Bleistift und Notizblock, vor allem aber die Schreibmaschine, die der Großvater »in dem von ihm hinrerlassenen Testament ausdrücklich angeführt« habe und auf der auch sein Enkel selbst »noch [s]eine Arbeiten schreibe« (At 112).
Die Bedeutung dieses Menschen als Impulsgeber für Bernhards literarische Arbeit, aber auch als Hintergrund für viele Figuren und Motive in den Texten des Enkels kann in der Tat nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das heißt nicht, daß Bernhard sein ganzes Leben lang unter dem Einfluß des Großvaters geschrieben und sich gewissermaßen von seinem großen Vorbild nie wirklich gelöst hätte. Doch auch wo er sich deutlich von Freumbichlers Vorgaben entfernt, sie womöglich ins genaue Gegenteil verkehrt, bleibt sein Schreiben auf den Großvater und seine künstlerischen Bestrebungen bezogen. Dieser Beitrag soll gewissermaßen die Grundlagen für die Diskussion bei den Bernhard-Tagen 1999 umreißen. Er faßt die Resultate mehrerer Arbeiten zusammen, die ich im Zusammenhang mit den Aktivitäten im Rahmen des Bernhard-Freumbichler-Jahres 1999 vorgelegt habe.
3
Vor allem bezieht er sich auf die umfangreiche Ausstellung »Johannes Freumbichler – Thomas Bernhard. Eine Beziehung«, die ich zusammen mit Peter Karlhuber im Auftrag des Landes Oberösterreich im Bernhardhaus in Ohlsdorf gestalten konnte und zu deren Abschluß die Bernhard-Tage 1999 veranstaltet wurden. Dort fanden sich die meisten der Textausschnitte versammelt, die im folgenden nochmals in Erinnerung gerufen werden sollen. Wir werden also eine An virtuellen Besuch dieser Ausstellung unternehmen und dabei Kern-Szenen der Beziehung zwischen Bernhard und seinem Großvater zusammenstellen – Motive und Konstellationen, die im Medium von Bernhards Literatur aufbewahrt sind und dort in besonderer Weise weitergewirkt haben.
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