Wege des Lachens
Jüdischer Witz und Humor aus Wien
Marcus G. Patka
edition seidengasse: Enzyklopädie des Wiener WissensISBN: 978-3-902416-78-0
21 x 15 cm, 190 S., m. Abb., Hardcover
€ 20,00 €
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Kurzbeschreibung
[Enzyklopädie des Wiener Wissens ; XIII. – edition seidengasse]
Das vorliegende Buch unternimmt einen Streifzug durch Geschichte und Entwicklung des jüdischen Witzes aus den Schtetln Osteuropas über Wien nach New York und Auschwitz und zurück. In vielen Witzen geht es um ein nur vordergründiges Einhalten der Gebote, dabei sind sie immer warmherzig, menschenfreundlich und antiautoritativ. Es kann sogar über Gott und die Religion gelacht werden. Neben zahlreichen Definitionen des Phänomens werden Funktion und Anwendung des Witzes in unterschiedlichen jüdischen Gruppen beleuchtet, wobei besonders auf Kabarett, jiddisches Theater und Jargon-Komik sowie auf Autoren wie Franz Kafka, Leo Perutz, Egon Erwin Kisch, Hugo Bettauer, Fritz Löhner-Beda und Albert Drach eingegangen wird. Nach der Shoah war es Georg Kreisler, der einen neuen jüdischen Witz in Wien etabliert hat, der aber wie in den USA und Israel wesentlich greller und zynischer arbeitet.
Rezensionen
Peter Stiegnitz: Salzig, aber dennoch ein KussDie gravierenden Unterschiede zwischen dem antisemitischen Witz und dem jüdischen Witz. Der jüdische Witz zwischen Selbstironie und Nicht-Humor.
Auch in Wien, wo der unterschwellige Antisemitismus mancher Oberschicht und der oberschwellige mancher Unterschicht immer schon zu Hause war, kursieren immer noch sogenannte „Judenwitze“, die in der Regel lediglich geistlos beleidigend sind. Von den gröbsten solcher Pseudowitze („Wie viel Asche vergaster Juden passt in eine Pfeife … ?“) bis zu den ungeschickt jiddelnden Witzchen („Sagt der Kohn zum Griien …“) erstreckt sich die farblose Palette der „Judenwitze“.
Anders, ganz anders die jüdischen Witze, die nahezu ohne Ausnahme von ideenreichen Juden sozusagen erfunden und dann von vielen anderen, auch Nichtjuden, umgemodelt wurden. Selbstironie heißt der Hauptbestandteil aller dieser Witze. Die harmlosen dieser Selbstpersiflage stammen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
So auch die bezeichnenden Späße des Kleinkunstkomödianten Armin Berg, der als Hermann Weinberger aus der Brünner Gegend stammte: „Es gibt fünfhundert Millionen Chinesen auf der Welt und nur fünfzehn Millionen Juden. Ich frage Sie: Wieso sieht man in Ischl keinen einzigen Chinesen?“ (Georg Markus: „Wenn man trotzdem lacht“, Wien 2012).
Heute bereits weniger bekannt als Berg war sein Kollege Paul Morgan, der als Paul Morgenstern als Sohn eines Hof- und Gerichtsadvokaten auf die Welt kam, der gerne gegen seine Schreibzunft zu Felde zog: „Es gibt Schriftsteller, die ab und zu schreiben, also nicht bloß ab.“ Und dann geistreicher und zutreffender: „Manche Dichterwerke werden noch gelesen, wenn Goethe und Schiller längst vergessen sind. Aber auch nicht früher.“
Die Ehrlichkeit des jüdischen Witzes
Der junge Wiener Historiker Marcus G. Patka, Kurator des Wiener Jüdischen Museums, beschäftigte sich ausführlich mit Witz und Humor der Juden (Markus G. Patka: „Wege des Lachens – Jüdischer Witz und Humor aus Österreich“, Weitra 2011). Witze, vor allem die guten jüdischen, sind ehrlich. Darauf wies auch der Herausgeber der Reihe, wo Patkas Buch erschien, Hubert Christian Ehalt, in seinem Vorwort hin: „Die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit hat überall dort, wo ihr das enge Korsett einer dogmatischen Weltsicht abgenommen wurde, die Möglichkeit, die Repräsentanten von Herrschaft nackt zu sehen.“
Genau an diese „Nacktheit“, wenn auch im übertragenen Sinne, dachte Patka, als er sich auf die Suche nach den gemeinsamen Wurzeln des jüdischen Witzes und des jüdischen Humors machte. Wie nicht anders zu erwarten, fand Patka den gemeinsamen Ursprung im Glauben und in der Tradition. Auch auf die dritte Quelle, auf die politische, vergaß er nicht, die er – gleichfalls völlig zu Recht – als „Waffe gegen den Antisemitismus“ bezeichnete.
Der Witz als bewusste Fehlleistung
Patka beschäftigte sich auch mit den einschlägigen Quellen und erwähnt unter anderem die Auseinandersetzung der beiden Freud-Jünger Eduard Hirschmann und Theodor Reik. Den Thesen Reiks, demnach im jüdischen Witz auch der Gegner, also der Antisemit, mit hineingezogen wird, widerspricht Hirschmann: „Diesem (dem Gegner) zugeschriebene Züge wie Rohheit, Gewalttätigkeit, Raublust und Neid im jüdischen Witz werden niemals verwendet.“ Einig jedoch sind die beiden Freudianer, dass im Witz den Nicht-Juden „Dummheit und mangelnder Scharfsinn“ vorgeworfen wird.
Harmloser als Freuds Vorwurf, doch bezeichnend für die innere, wenn auch gut versteckte Überschätzung der eigenen, jüdischen Persönlichkeit, zeigt sich folgender Witz: „In der Eisenbahn sitzen ein Rabbiner und ein katholischer Priester einander gegenüber. Fragt der Rabbi: ,Was bekleiden Sie in Ihrer Kirche?‘ Antwort des Priesters: ,Ich bin zurzeit Kaplan und werde dann Pfarrer.‘ Der Rabbi: ,Und weiter gibt es keine Steigerung?‘ Antwort: ,Doch, ich kann Bischof, Erzbischof, Kardinal und vielleicht auch Papst werden.‘ Der Rabbi: ,Schön und gibt es noch etwas Höheres?‘ Der Kaplan: ,Nein, weil der Liebe Gott kann ich nicht werden.‘ Dann lächelt der Rabbi: ,Sehen Sie, einer von uns ist es doch geworden … ‘“
Markus G. Patka erinnert uns auch noch an die kaum bekannte Schrift des Berliner Religionsphilosophen Ernst Simon, der in einer kleinen Auflage – es gab nur 22 Stück dieses seltenen Privatdruckes – seine wissenschaftliche Arbeit „Zum Problem des jüdischen Witzes“ veröffentlich hat. Auch Simon scheint zumindest in dieser Arbeit die These Freuds, der den Witz für eine „bewusste Fehlleistung“ hielt, zu vertreten. Freud verstand darunter das, was man nur auf diese Weise als verklausulierte Form sagen kann.
Der Historiker Patka bezieht sich auch den wohl bekanntesten Vertreter dieses Genres, den Judaisten Chajim Bloch, des mehrbändigen Chronisten ostjüdischer Witze. Blochs Verdienst ist nicht nur die wissenschaftliche Sammlung der meist chassidischen Witze mit Tiefgang, sondern auch die Ausarbeitung der Unterschiede zwischen Witz und Humor im Judentum und widerlegt gleichzeitig den Vorwurf, dass der jüdische Witz keinen Humor kennt: „Der Humor lebt in der geruhsamen Behaglichkeit des Hauses oder des intimen Kreises, während der Witz oft der Abkehr dient und häufig die einzige oft gebrauchte Waffe des Unterdrückten darstellt.“
Ein enzyklopädisches Stichwort in Patkas Werk beschreibt das Wesentliche der Entstehung und des Charakters des jüdischen Witzes und Humors zusammen. Dabei wird vor allem auf das sicht- und fühlbare Spannungsfeld zwischen Tradition („Althergebrachtem“) und Aufklärung („Allzuneuem“) hingewiesen.
Und noch etwas Wichtiges: Die historisch allererste Quelle dieser Witze und dieses Humors sprudelt aus dem Talmud. Dadurch, dass man Vokale nicht verschriftet und der Wortstamm eines Wortes deshalb auch eine andere Bedeutung erhalten kann, wurde der „Wirtwitz“ späterer Zeiten geboren. Und der schöne und bezeichnende Schlusssatz Patkas: „Der jüdische Witz ist wie ein salziger Kuss – salzig, aber dennoch ein Kuss.“
(Peter Stiegnitz, Rezension in der Wiener Zeitung vom 27. Dezember 2012)
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/mehr_kultur/512154_Salzig-aber-dennoch-ein-Kuss.html
Barbara Denscher: Marcus G. Patka, „Wege des Lachens“
Sein Buch sei keine Witzesammlung, sondern es gehe ihm darum, die Wurzeln des jüdischen Humors zu orten und zu zeigen, wie sich jüdischer Witz und Humor im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt haben. Diese inhaltliche Klarstellung ist Marcus M. Patka wichtig – und das zu Recht. Denn mit dem 190-Seiten-starken Band „Wege des Lachens“ legt der Kulturhistoriker und Kurator im Jüdischen Museum der Stadt Wien eine sehr detailreiche und wissenschaftlich fundierte Studie zu einem interessanten sozial- und kulturgeschichtlichen Thema vor. Dass er es dabei auch hervorragend versteht, seine Forschungsergebnisse in einer klaren, gut lesbaren Form zu präsentieren, gehört mit zur Qualität dieses Buches – in dem sich natürlich auch zahlreiche Witze finden lassen.
„Der ‚traditionelle‘ jüdische Humor“, so Patka, komme aus Osteuropa, aus den jüdischen Schtetln, und bestehe „aus Folklore, die sich in mündlich überlieferten Witzen, Anekdoten und komischen Geschichten manifestiere“. Viele dieser Geschichten lassen sich bis ins Mittelalter zurückführen – ebenso wie die Sprache, in der sie erzählt werden, das Jiddische. Dieses entstand vor der Vertreibung der Juden nach Osteuropa im deutschen Sprachraum und war zunächst eine soziale Variante des Deutschen. Rund siebzig Prozent des Wortschatzes des Jiddischen stammen aus dem Deutschen, geschrieben allerdings wird es mit hebräischen Buchstaben. So wie im Hebräischen werden auch im Jiddischen nur die Konsonanten notiert und die Vokale selbständig ergänzt – was das Sprachgefühl schärft und eine reiche Quelle für Wortwitz darstellt.
Eine spezielle sprachliche Ausformung fand der jüdische Humor in der so genannten Jargon-Komik, die sich einer umgangssprachlichen Form des Jiddischen bedient. Ihren Ausgangspunkt nahm die Jargon-Komik (die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im deutschen Sprachraum und vor allem auch in Wien sehr populär war) in Budapest. Dort war, so Marcus G. Patka, um die Jahrhundertwende „der Einfluss des im Habsburgerreich vorherrschenden Klerikalismus geringer (…). Aufgrund der generell größeren Freizügigkeit entwickelte sich auch die Unterhaltungsbranche dort früher und vielseitiger. Budapest war ein Dorado für Komiker, Clowns, Possenreißer, Zirkus- und Varietékünstler; unter ihnen tummelten sich auch viele jüdische Komiker und Volkssänger.“ Diese trugen ihre Sketches und Possen nicht nur in Ungarisch vor, sondern eben auch im Jargon und – da in Budapest damals an die vierzig Prozent der Einwohner deutschsprachig waren – auch in deutscher Sprache. Es war daher nicht schwierig, mit den Programmen auch in Wien aufzutreten. Dort wurde 1889 die „Budapester Orpheum-Gesellschaft“ gegründet, die in Theatersälen von Hotels in der Taborstraße und später im eigenen Etablissement in der Praterstraße auftrat und sich bald zu populärsten Jargonbühne jener Zeit entwickelte.
Am 8. November 1890 führte die „Budapester Orpheum-Gesellschaft“ zum ersten Mal jenes Stück auf, das zur erfolgreichsten Jargonposse im deutschsprachigen Raum werden sollte: „Die Klabriaspartie“. Im Mittelpunkt stehen ein paar arme Juden, die sich im Kaffeehaus treffen, um dort Klabrias (ein Kartenspiel) zu spielen und einander Witze zu erzählen. Die relativ schlichte Handlung gab den Akteuren die Möglichkeit, all ihr komisches Talent auszuspielen. Einer der Stars der ersten „Klabriaspartie“ war mit Max Rott einer der bekanntesten Jargonkomiker jener Zeit; später brillierte auch Hans Moser, der nach dem Ersten Weltkrieg wiederholt bei den „Budapestern“ auftrat, in der „Klabriaspartie“. Das Stück stand bis 1925 einige tausend Mal auf dem Spielplan der „Budapester Orpheum-Gesellschaft“ und wurde auch in Berlin und Budapest von verschiedenen Bühnen mit großem Erfolg aufgeführt.
Allerdings stießen die Jargonbühnen mit ihrem Programm auch auf vehemente Kritik, denn, so Marcus G. Patka, vielfach brachten sie sehr derbe Witze, in denen oft auch antisemitische Klischees aufgegriffen wurden.
Abseits der Jargonbühnen und ganz anders als in diesen entfaltete sich spezifisch jüdischer Humor in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vor allem in den Wiener Kabaretts und Kaffeehäusern. Marcus G. Patka geht in diesem Zusammenhang in seinem Buch vor allem auf das Wirken von Fritz Grünbaum, Karl Farkas und Hermann Leopoldi ein und beschäftigt sich in seiner Analyse Autoren wie Egon Friedell, Peter Hammerschlag und Fritz Löhner-Beda.
Ein eigenes Kapitel widmet Patka dem jüdischen Narren: dem Schlemihl. Dieser ist mit keinem anderen Narren der Weltliteratur vergleichbar, denn „er führt sich nicht vorsätzlich närrisch auf. Vielmehr ist er sich seiner Rolle keineswegs bewusst, er ist kein Humorist, sondern eine Figur, die ungewollt in Konflikt mit höheren Mächten gerät. Ein Schlemihl etwa ist ein in den Soldatenrock gezwungener frommer Jude, der seinem preußischen Leutnant auf die gebrüllte Frage: ‚Warum soll der Soldat für den Kaiser sterben?‘ antwortet: ‚Sie haben völlig recht, Herr Leutnant, warum soll er?‘“ Ein nichtjüdischer Nachfahre des Schlemihl ist Jaroslav Hašeks Schwejk, ein genuin jüdischer Franz Werfels Jakobowsky aus dem 1942/43 verfassten und von Werfel als „Tragödie einer Komödie“ bezeichneten Drama „Jakobowsky und der Oberst“.
Nach der Shoah schien jüdischer Witz im deutschsprachigen Raum nicht mehr möglich zu sein (während er in den USA und in Israel, wie Patka darlegt, nunmehr in neuen, aber an alte Traditionen anknüpfenden Formen auftritt). Dennoch betitelt Patka das letzte Kapitel seines Buches mit „Es führt ein Weg zurück“ und stellt dabei das Schaffen des im November 2011 verstorbenen Georg Kreisler in den Mittelpunkt. Vor allem mit den 1966 erschienenen „Nichtarischen Arien“ sei es diesem gelungen, „nicht nur an die Wurzeln des jüdischen Humors zurückzukehren, sondern diesem gleichzeitig eine eigene und zeitgenössische Note zu geben. (…) Kreislers epochale Leistung, einen neuen Wiener jüdischen Humor nach der Shoah kreiert zu haben, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“
(Barbara Denscher, Rezension in: Flaneurin. Nachrichten von der Kunst des Lebens vom 21. Jänner 2012)
https://www.flaneurin.at/wege-des-lachens/