Das Abendessen mit dem kleinen Chinesen
Erzählungen
Sibylle Lang
ISBN: 978-3-99028-365-3
19×11,5 cm, 194 Seiten, Klappenbroschur
€ 18,00 €
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Kurzbeschreibung
Ein ganzes Stück war es noch bis zum Ufer, aber ich beeilte mich nicht, sondern drehte mich auf den Rücken. Bewegungslos schaukelte ich dahin. Der Himmel war von einem reinen Blau erfüllt. Neben mir stand eine Libelle über dem Wasser, eine zweite kam dazu. Neulich hatte ich am Weiher eine abgeworfene Haut nach der letzten Libellenhäutung gefunden. So ein besonderer Körper, so eine besondere Form, die ich dann in der Hand hielt, wie eine abgelegte, kleine Rüstung.
Ich hatte ihnen versprochen, heute nicht in die Stadt zu fahren, sondern den Abend mit ihnen zu verbringen. Es war mir dann ganz leicht gefallen, so wie das Baden und das Federballspielen leicht waren. Ein bisschen hatte es mich schon irritiert, dass mir Fabien und Frédéric eigentlich reichten.
Rezensionen
Peter Mayr: Eine neue, eigenständige StimmeVor fünf Jahren hat die Augsburgerin Sibylle Lang damit begonnen, Geschichten zu schreiben. Nun legt sie ihren ersten Erzählband „Das Abendessen mit dem kleinen Chinesen“ vor – eine Überraschung.
Das Lesen, die Bücher, das hat immer zu Sibylle Lang gehört. Die Literatur war lange schon da. Und das Erzählen eigentlich auch. Als Kind, als Jugendliche habe sie ständig Geschichten erfunden, sagt Lang. Und vor fünf Jahren wurde das wieder mächtig in ihr, das Erzählen. „Da fing ich an, mir erst einmal selbst etwas zu erzählen“, berichtet sie. Sie schrieb es auf, hielt es fest und hörte seitdem nicht mehr damit auf.
Ausgangspunkt für die Geschichten, die sie festhält, sind biografische Ereignisse. Momente in ihrem Leben, die sie interessieren, die sie reizen. Und gleichzeitig gestaltet die 53-Jährige diese Momente, formt sie um, verwandelt sie in Geschichten, die nicht mehr eins zu eins der Wirklichkeit entsprechen. Aus dem Leben schöpft Lang zwar, ihr Ziel aber ist Literatur.
Herausgekommen ist nun nach den fünf ersten Jahren des ernsthaften Schreibens ihr 190 Seiten langer Erzählband „Das Abendessen mit dem kleinen Chinesen“. Der Band besteht aus neun Geschichten. Ein Chinese, der auf seine Asylberechtigung wartet und aus Dank für einen geschenkten Kleiderschrank bei der Familie ein Abendessen kocht. Eine Frau, die Ich-Erzählerin, die in Paris anfängt zu arbeiten, sich dort im Wohnheim mit einer anderen Frau anfreundet. Die Ich-Erzählerin bemerkt, dass diese Frau von einem mysteriösen fremden Mann gesucht wird. Eine Frau, die ein Kleid stiehlt, das sie unbedingt haben will.
Eine Frau, die im Comic- und Kinderbuch-Verlag Casterman in Tournai (Belgien) ein Praktikum macht und dafür beim Produktionsleiter zu Hause untergebracht wird. Während der Produktionsleiter sie allein mit seinen Kindern lässt, entwickelt sich ein erotisches Verhältnis zum noch Jugendlichen Sohn. Es ist ein heißer August.
Man spürt, dass die Schriftstellerin Sibylle Lang viele Jahre fotografiert hat – neben ihrem Beruf in der Telekommunikationsbranche. Sie neigt nicht zum Pathos, sie legt keine schablonenhaften Spannungsbögen an, sie ist nicht auf den einfachen Effekt aus. Aber es vermittelt sich zwischen den Zeilen, dass da etwas zu erzählen ist, dass sich das Lesen lohnt, dass es um etwas geht. Einen Moment, etwas Vergängliches, einen Zustand, der nicht einfach mit einem Wort, sondern nur mit einer Erzählung gefasst werden kann.
Zum Beispiel die flüchtige Stimmung, aus der heraus drei Mädchen ohne Führerschein Mehmet überreden, sie mit nach Südfrankreich zu nehmen. Und dann ist es nicht Reisekitsch, zu dem Lang das entwickelt, sondern fast schon eine Studie darüber, wie diese Spontanreise immer kurz vor dem Kippen steht. So kann das nur schreiben, wer genau beobachtet. Und das macht Sibylle Lang mit ihrem ausgeprägten Fotografenblick.
Der – nicht mit der Schriftstellerin verwandte – Komponist Bernhard Lang schreibt im Vorwort: „Je länger man liest, fühlt man eine Glut im Inneren dieser Texte und weiß doch nicht, woher sie kommt, wem sie zuzuordnen wäre, eine Intensität des Nackt-Realen, des ungeschmückt Wirklichen.“ Man kann ihm nur zustimmen.
Vor allem in den Geschichten, in denen das Erzählkonzept von Lang aufgeht. Denn es gibt unter den neun Erzählungen zwei Ausreißer, in denen sich diese untergründige Spannung nicht so recht einstellen will. Dennoch: eine Überraschung, dieses Debüt der Schriftstellerin.
(Peter Mayr, Rezension in der Augsburger Allgemeinen vom 22. August 2015, S. 28)
https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Portraet-Eine-neue-eigenstaendige-Stimme-id35214752.html
Andreas Wirthensohn: Zwischenräume
Das tolle Erzähldebüt von Sibylle Lang.
Überspitzt könnte man sagen, dass das „Eigentliche“ dieser Erzählungen in dem liegt, was ihre Protagonisten nicht sagen. Es wird viel geschwiegen im Debüt der 1961 in Augsburg geborenen Sibylle Lang, was der Autorin umso mehr Möglichkeiten eröffnet, dem Dazwischen nachzuspüren.
Diese Zwischenräume können die Menschen verbinden oder trennen oder auch beides, und das Bemerkenswerte an der wunderbar feinfühligen Prosa dieser Autorin ist nicht zuletzt, dass sie die Leerstellen nicht einmal ansatzweise mit Erklärungen oder gar Psychologisierungen zu füllen bereit ist. Etwa die Begegnung der Ich-Erzählerin mit einer Roma im Speisewagen des Railjet nach Linz: Aus ihr erwachsen Phantasien geradezu Alfred Kubin’schen Ausmaßes, und doch bleibt hartnäckig in der Schwebe, was es mit dieser Frau auf sich hat.
Sibylle Langs Erzählungen kommen ganz unscheinbar daher, und doch ist am Ende das scheinbar Vertraute stets fremd und fast ein wenig unheimlich geworden. Ein tolles Debüt.
(Andreas Wirthensohn, Rezension in der Wiener Zeitung vom 20. Februar 2016)
Thomas Hack: Erzählerin bringt zu Lesung gleich einen Musiker mit
Autorin Sibylle Lang stellt ihr neues Buch im Ballonmuseum vor
Literarische Essays im Kurzformat treffen auf experimentelle Lyrik am Konzertflügel – unter dem schwebenden Großmodell eines bunten Heißluftballons verbreitete diese Melange beinahe schon eine surreale Atmosphäre. Die Augsburger Schriftstellerin Sibylle Lang stellte ihren Erzählband „Das Abendessen mit dem kleinen Chinesen“ vor und hatte sich für das passende Ambiente eine ganz besondere musikalische Untermalung ausgesucht.
Mit schlichtem Auftreten und souveräner Stimme präsentierte sie in den Räumen des Gersthofer Ballonmuseums eine Kostprobe von den Geschichten ihres aktuellen Buches und kleidete dabei eine moderne Thematik in zeitlose Worte.
Der Inhalt war letztendlich so einfach wie hintergründig: Ein chinesischer Asylbewerber lädt die Familie seiner Unterstützerin zum gemeinschaftlichen Abendessen ein, wodurch die Wohnung schon bald von Ingwerdüften, Frittiergerüchen und undurchsichtigen Rauchschwaden angefüllt ist. Ein verheißungsvoller Auftakt für alle Beteiligten.
Doch nicht alles verläuft an der vermeintlich runden Tafel in solch harmonischen Bahnen, wie es die Komposition der servierten Gerichte in den Schälchen vermuten lässt: Der Vater misstraut allem Fremden, die Mutter zieht es vor, heiklen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, andere Anwesende sind einfach nur vom Hunger geplagt. Mit schleichender Stetigkeit entwickelt sich ein spannender Abend zum spannungsgeladenen Familienkonflikt.
Einerseits spielt Sibylle Lang in ihren Prosaversen mit etappenhaften Gedankensprüngen, dann wieder scheinen die Zeitabläufe fast stillzustehen, was in einer detailverliebter Metaphorik seinen literarischen Ausdruck findet – etwa durch langsam zu Boden sinkende Blätter, das schlichte Anzünden einer Zigarette oder ein beiläufiges, aufgezwungenes Lachen. Alles gewinnt für kurze Zeit an Bedeutung, nur um einen Wimpernschlag später wieder in die Bedeutungslosigkeit hinabzugleiten.
Für ihren Erzählband hat die Autorin in erster Linie biografische Ereignisse verarbeitet, die sich jedoch nach und nach zu eigenständigen Geschichten entwickeln und ihre Wesenszüge vielmehr durch Gedankenspiele als die objektive Realität zu haben scheinen.
Der frühere Gersthofer Wolfram Oettl untermalte die eigenwilligen literarischen Episoden mit ebenso eigenwilligen Klängen auf dem Flügel. Die Notenvorlagen stammten vom österreichischen Komponisten Bernhard Lang, dessen Oper „I Hate Mozart“ bereits im Theater Augsburg zu sehen war. Eigens für Sibylle Langs Erzählungen hatte er die komplexe Klaviertrilogie „Intermezzi I–III“ verfasst, deren dissonante Akkordfragmente von Wolfram Oettl im Ballonmuseum authentisch umgesetzt und adäquat an die prosaische Vorlage angepasst wurden.
Die zerrissenen Gedankengänge der unterschiedlichen Charaktere fanden sich in der inneren Unruhe auf den Klaviertasten wieder, und wie in den Erzählungen selbst mischten sich Gedankenfetzen mit vorsichtigeren, wenn auch nicht wirklich harmonischen Melodienläufen. Wie es mit der illustren Abendgesellschaft im Buch schließlich weitergeht? Das Ende hat Sibylle Lang auf ihrer Lesung freilich nicht offenbart, doch scheint es so, als würden immer wieder unverhoffte Momente der Geschichte eine neue Wendung geben: So klingelt plötzlich eine unerwartete Besucherin an der Tür, und der leidgeplagte Chinese ist irgendwann einmal ganz verschwunden.
(Thomas Hack, Rezension in der Augsburger Allgemeinen vom 14. April 2017)
https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg-land/Erzaehlerin-bringt-zu-Lesung-gleich-einen-Musiker-mit-id41135451.html