Roulett im Föhn
Roman
Ria Endres
ISBN: 978-3-99028-699-9
19 x 12 cm, 298 S., Hardcover
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Kurzbeschreibung
Frieda und Fred Fasnacht leben nach außen hin unauffällig in einer süddeutschen Stadt. Doch Fred wird immer mehr vom Roulett elektrisiert. Er spielt ein todsicheres System, aber seine Zahlenkolonnen führen direkt ins Unglück. Er reißt Frieda in seinen Schuldenstrudel mit hinein. Sie weiß, Fred wird erst vom Roulett-Tisch aufstehen, wenn er das ganze geliehene Geld verspielt hat. Wo alle Hoffnungen zerbrechen, gibt es nur mehr Alltagsverfinsterungen inmitten einer hämischen Umgebung. Nach Selbstmordversuchen, Aufenthalten in der Psychiatrie und der Scheidung begreifen beide: Sie können noch mehr verlieren als Geld. Sie leben nun getrennt, aber der Hass bleibt. Fred hat sich an den Stadtrand verkrochen, sucht Arbeit und sinnt auf Rache. Gläubiger verfolgen Frieda. Die größte Angst hat sie vor Fred, doch sie kann mit keinem darüber sprechen, auch nicht mit ihrer Mutter Theresia Wildt, die einem religiösen Wahn verfallen ist. Es gibt für Frieda schließlich keinen Ausweg mehr als Fred umzubringen. Aber alles hat dann eben doch nicht seine Zeit.
Mit überwacher Genauigkeit beschreibt Ria Endres die zusammenbrechende Alltagswelt ihrer Figuren. Es entstehen beeindruckende Szenen, die den Leser mitten hinein in eine abgründige Wirklichkeit führen. Dabei entfaltet sich auch ein detailreiches Panorama der 1980er Jahre.
Rezensionen
Harry Oberländer: Die veruntreute HölleDas Glück, in einer Stadt am Lech zu wohnen, sich mit einem Spieler zu verbinden, in schweren Widerspruch zwischen Glauben und Kirche zu geraten, gemobbt und geächtet zu werden, dem Wunsch nach Selbsttötung und dem zu leben nachzugeben, ist endlich. Aber groteske Gegenkräfte führen Frieda in hohem Bogen aus dem Unglück: „Leben ist doch besser als tot sein.“ Harry Oberländer begrüßt den Roman „Roulett im Föhn“ von Ria Endres.
„Allein das Glück, wenn’s wirklich kommt, ertragen ist keines Menschen, wäre Gottes Sache“, schrieb August von Platen und fügte lakonisch hinzu: „Auch kommt es nie.“
Ria Endres Roman spielt in einer Voralpenlandschaft, wo die Berge bei Föhn nahe an den Betrachter in der langwelligen Hügellandschaft heranrücken, die das Grenzgebiet zwischen Bayern und Schwaben ausmachen. Der Föhn, der Farben erzeugen kann, als wäre er selbst schon der Expressionismus, drückt wetterfühligen Menschen allerdings auch auf die Hirnschale und so ergeht es Frieda, die kreuzunglücklich mit Fred verheiratet ist, unter dem Familienamen Fasnacht. Frieda duldet, und Frieda leidet, am meisten unter Freds Spielsucht, dem damit verbundenen Realitätsverlust und der drohenden Existenzvernichtung.
Das bleibt jedoch nicht ganz ohne Komik, weil auch die Geschichte der beiden Fasnachts immer wieder voll ist von grotesken Wendungen und Überraschungen, doch ist sie, vor allem aus der Perspektive von Frieda betrachtet, eine tragische Geschichte. Es ist die Koinzidenz der Gegensätze, die sie lebendig macht. Dazu passen Kirchen und Klöster auf der einen und Spielcasinos nebst Hotels oder schäbigen Pensionen auf der anderen Seite und über allem thront DERDAOBEN, an den Frieda eher nicht mehr, ihre Mutter Theresia Wildt aber umso inniger glaubt. Frieda wird allerdings Worte nicht los, die ihr in der Klosterschule eingedrillt worden waren und die von Margarete Ebner stammten. Die Mystikerin aus dem Mittelalter pflegte eine Jesuspuppe zu säugen und schrieb: Aber meine Begierde und meine Lust ist in dem Säugen, dass ich aus seiner lauteren Menschheit gereinigt werde und mit seiner inbrünstigen Minne aus ihm entzündet werde und ich mit seiner Gegenwärtigkeit und mit seiner süßen Gnade durchgossen werde, dass ich damit gezogen werde in den wahren Genuss seines göttlichen Wesens mit allen minnenden Seelen, die in der Wahrheit gelebt haben.
Friedas Unglück ist es, dass sie an einen Mann geriet, der glaubt, dass er das Glück erzwingen kann, indem mit einem sicheren System die Spielbank knackt. Da es ihm schon seit Jahrzehnten nicht gelingt, kann er nicht damit aufhören, in immer neuen Anläufen zu versuchen, das Glück zu bezwingen und da Frieda nun mal seine Frau ist, muss sie immer mit. Frieda erduldet dabei vieles, weil sie glaubt, dass sie keine andere Wahl hat. Nur gegen Freds Plan, den teuren Steinway-Flügel ihrer Mutter zu verscherbeln, leistet sie tapfer Widerstand.
Zuhause warten schon die Gläubiger
Sie hatte Fred Fasnacht über eine Heiratsannonce kennengelernt, nachdem sie anders keinen Mann mehr bekommen konnte. In ihrem Dorf galt sie als Amihure, weil sie von einem amerikanischen Besatzungssoldaten sitzengelassen worden war. Fred, der ehemalige Wehrmachtssoldat, hatte sich ihr als biederer Eisenbahner vorgestellt. Er wird ihr schnell vollkommen fremd und doch bleibt sie bei ihm und versucht, das Schlimmste zu verhindern.
Längst hat es sich erwiesen, dass die roten und schwarzen Zahlen des Roulett sich Freds Systemforschungen nicht fügen wollen, so aufwendig er sie auch betreibt. Er hat sich die Zahlenkolonnen von Gewinnern notiert, die Zahlen des Dicken mit der Brille, des Nadelstreifenmanns, der Beringten, der reichen Dame, des Italieners. Das hilft natürlich alles nichts, und was Fred an einem Tag gewinnt, verspielt er va banque am nächsten wieder. Zuhause warten schon die Gläubiger, die wütend an der Haustür randalieren oder ultimative Mahnschreiben zustellen lassen. Und das alles geschieht ihr, der Tochter des Gerichtsvollziehers Wildt, der die Mitschüler auf dem Schulhof „Kuckuck, kuckuck“ hinterher riefen.
So kommt es unweigerlich zur Katastrophe. Vielleicht kommt doch noch etwas Besseres als die Hölle. Frieda, das Unglückshuhn, beschließt, sich das Leben zu nehmen. Vorher geht sie noch einmal durch die Stadt am Lech, unverkennbar Augsburg, die Stadt mit der Zirbelnuß, dem Pinienzapfen im Wappen, einem Symbol für Tod und Auferstehung.
„Wie oft hatte ich mich auf dem Weg zum Markt durch die Menge geschoben, so dass ich nichts von seiner Schönheit sehen konnte. Wenn ich irgendwohin blickte, dann aufs Pflaster. Dabei hätte ich doch nach oben schauen müssen bis zur Wetterfahne des Perlachturmes. Oder das Rathaus anstaunen, aus dem zwei optimistische Türme in den Himmel ragen. Herrlich, elegant, hörte ich um mich herum. Oder Ah, der Reichsadler, der Obelisk, der Pinienzapfen. Mich ekelten diese Touristenausrufe, ich konnte und wollte nichts sehen, auf mir lag etwas Schweres. Aber jetzt trage ich keine Einkaufstasche mehr, jetzt muss ich mich nicht mehr abhetzen, damit ich rechtzeitig Essen auf den Tisch stellen kann. Jetzt brauche ich nur dem Arm der schlanken Statue auf dem Augustusbrunnen zu folgen und schon bleiben die Blicke auf der weiß-blauen Vorderansicht des Rathauses hängen. Wenn es ein Paradies gibt, und meine Mutter redete jeden Tag davon, wenn es ein Paradies gibt, könnte der Eingang so aussehen. Ich müsste nur die große Rathaustür aufdrücken und wäre mit einem Schritt im Himmel. Was tut sich den hinter der Himmelstür, habe ich manchmal boshaft meine Mutter gefragt. Nicht einmal sie weiß eine Antwort. (…) Schatten bewegen sich vor den Kulissen dieser alten Welt auf dem leeren Platz. Unter ihm könnten sich die Toten tummeln bis zum Jüngsten Gericht. Wenn die Posaune von Jericho erschallt und die Engel herabsteigen, werden die Toten plötzlich auf ihm herumkriechen und ich vielleicht zwischen ihnen. Glaubte ich meiner Mutter, käme ich in die Hölle nach meinem Selbstmord. Nach einem Höllenleben in die Hölle.“
Auch Fred erzählt seine Geschichte
Bis zu ihrem Versuch, sich mit 30 Valiumtabletten das Leben zu nehmen – wie alles in dieser Geschichte des Scheiterns scheitert auch er – wird aus der Perspektive Friedas erzählt. Ein langer innerer Monolog, der in der Nachtszene vor dem Augsburger Rathaus und dem folgenden Weg hinunter an den Lech einen der erzählerischen Höhepunkte erreicht. Die Autorin, die Frieda zu Wort kommen lässt, begleitet das Geschehen in barocken Kapitelüberschriften, die den Inhalt des Kapitels pointiert zusammenfassen oder ironisch kommentieren:
„Fred will sich das Genick nicht brechen lassen, läuft aber in die falsche Richtung und findet sich vor einem Seelenklempner wieder.“
Auch Fred erzählt seine Geschichte, die Geschichte eines armen Hundes, der vom NS-Arbeitsdienst zu den Soldaten kam und froh ist, den Krieg überlebt zu haben. Fred ist ein eher schlichter Mensch, der sich ärgert, dass Frieda ihm nicht gehorcht. Er kann von seinem Wahn nicht lassen, auch nachdem die Ehe geschieden worden ist, nachdem er der Schulden wegen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist. Er stellt Frieda, die sich als geschiedene Ladenhilfe durchs Leben schlägt, so beharrlich nach, dass sie den Entschluss fasst, ihn umzubringen.
DERDAOBEN, würde Friedas Mutter dazu sagen, fand für Friedas Problem schließlich eine viel bessere, verblüffend einfache Lösung. Friedas Mutter Theresia Wildt ist die zweite starke Stimme, die in diesem Roman zu Wort kommt. Sie erzählt ihre Geschichte und die ihrer verstorbenen Geschwister und weil ihre Beziehung zu DEMDAOBEN sehr innig und durch keine Schicksalsschläge zu erschüttern ist, wallfahrtet sie am Ende nach Rom, um den Papst zu sehen.
Dabei stellt sich heraus, dass es auf den Papst selbst gar nicht so sehr ankam. Verzückt, wie einst die selige Margarete Ebner es war, lässt Theresia Wildt ihre Augen durch die Kuppel des Petersdoms schweben.
„Ich schaute nach oben und da schwebten die Apostel und ich war sofort bereit für die Himmelfahrt. (…) Die Türen des Doms waren so hoch wie Himmelspforten und plötzlich standen wir im Petersdom. Ganz vorne, irgendwo musste der Papst sein auf seinem Thron und uns segnen. Den Weihrauch spürte ich in der Nase, aber sehen konnte ich nichts. Da halfen mir meine Schutzengel, lösten mir die Augen aus dem Gesicht und schickten sie einfach schwebend durch den ganzen Petersdom hin zum Papst. Dort verschwanden sie im Strahlenmeer, einem überirdischen Glanz und ich ging in die Knie.
Meine Augen stiegen im Glanz unter die Kuppel bis zum höchsten Punkt, wo das Paradies beginnt. Ich schluckte und wurde fast ohnmächtig vor Glück…“
Siehst du, August, sagte ich mir, für manche kommt’s eben doch, das Glück, und sie halten es aus, auch wenn es absurd ist. Frieda dagegen ist am Ende einfach nur froh, dass das Unglück nicht mehr hinter ihr her ist. Ich freue mich mit ihr, denn Fasnacht ist heute überall und die Narren können nicht müde werden.
(Harry Oberländer, Rezension im Onlinemagazin Faust-Kultur.de. wwweltbühne für Autoren und Künstler, 5. Oktober 2017)
http://faustkultur.de/3272-0-Ria-Endres-Roulett-im-Foehn.html#.Wdn88IV3at8
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Am Ende angekommen
Fresko ohne Blau
Schreiben zwischen Lust und Schrecken