
Radka
Roman
Johano Strasser
ISBN: 978-3-99126-257-2
19,5×13 cm, 208 Seiten, Hardcover
20,00 €
Neuerscheinung
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Kurzbeschreibung
Radka war mein Schutzengel. Sie passte auf mich auf, wenn meine Mutter im Gasthof zu tun hatte, machte mit mir Schulaufgaben und verteidigte mich, wen größere Jungen mich hänselten oder wenn sie mich verprügeln wollten. Als sie fortging, für immer fortging, hat sie mir ab und zu eine Postkarte geschrieben. Die Postkarten habe ich alle noch. Die bunten Briefmarken, die Poststempel mit den fremden Städtenamen: Wien, Antwerpen, Paris, London, Belgrad, Rom, Sao Paulo, Montevideo, Havanna, Stockholm, San Francisco, Miami …
Rezensionen
Christian Jooß-Bernau: Gestern ist nicht vergangenJohano Strasser erzählt in seinem Roman „Radka“ von einer Dorfgemeinschaft, die gelernt hat wegzusehen, um miteinander leben zu können.
Man fand sie tot vor dem laufenden Fernseher in ihrer Wohnung in Düsseldorf. Schon verwest. Radka Roma. Varieté-Künstlerin, Sängerin, Tänzerin, die einst eine internationale Karriere hatte. Ein Zeitungsausschnitt bringt die Nachricht aufs Land zwischen Bremen und Hamburg. Und das Medium zeigt: In diesem Dorf fühlt man den Puls der modernen Zeit nur schwach. Hier hat man sich eingerichtet seit Jahrzehnten und ist nebeneinander alt geworden.
Johano Strasser, 1939 in den Niederlanden geboren, lebt in Berg am Starnberger See. Als Schriftsteller war er immer auch ein politischer: einst stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos, dann Mitglied der Grundwertekommission der SPD. Bis 2013 Präsident des Pen-Zentrums Deutschland. „Radka“ heißt sein neuer, etwa 200 konzentrierte Seiten dünner Roman, der im Mikrokosmos einer kleinen Gemeinschaft die großen Weltläufe erspürt.
Erzählt wird multiperspektivisch – von Alfred, Doktor Zelebat, Christine und Werner. Für Alfred, zurückgeworfen durch die zu spät erkannte Kinderlähmung, war Radka sein Schutzengel. Sie verteidigte ihn gegen Gehässigkeiten, lernte mit ihm verpassten Schulstoff. Radka, selbst eine Außenseiterin, genannt die Zigeunerin, Tochter eines Feldwebels und einer Kroatin, die er im Krieg auf dem Balkan kennenlernte. Gerettet als Säugling aus einem bombardierten Haus. Die Mutter verbrannt. Eine Waise, aufgewachsen beim aus Schlesien stammenden Ehepaar Gramke.
Doktor Zelebat, den die Suche nach einer Praxis einst ins Dorf verschlug, ist Beobachter mit der Distanz des Nie-ganz-Zugehörigen. Er erinnert sich an vieles. Auch an den Besuch Radkas in seiner Praxis. An ihr Zusammenbrechen, ihre Verletzungen, das Schweigen. Christine ist schicksalhaft unglücklich verheiratet mit dem Schnakenberg-Sohn. Vater Schnakenberg wird später mit einer Schaufel erschlagen, ein Patriarch mit dunklen Seiten. Werner kam als junger Polizist ins Dorf. Auch er einer, der von außen die Bande der Dorfgemeinschaft ahnt und bis heute das Ungenügen mit sich trägt, bei der anonymen Anzeige einer Vergewaltigung nicht gründlich hingesehen zu haben.
Die Konstellation der Figuren in Strassers Roman ist nicht überraschend, das Handlungsmuster ähnlich einem guten Fernsehkrimi, der aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart erzählt. Aber Strasser schafft es, den warmen Atem des Lebens in seine Erzählerfiguren zu pusten, weil er ihnen in Liebe verbunden ist. Ihr Zweifeln, ihr Leiden, ihre kleinen Momente der Zufriedenheit sind nicht abstrakte Behauptung, sondern ergeben sich aus dem Fluss der Lebensdetails.
„Wir sprechen eigentlich die ganze Zeit über Bande miteinander, lauschen auf das Echo unserer Worte und entscheiden uns immer erst hinterher, was wir gesagt haben wollen“, sagt der Polizist Werner. Konstruiert wird nicht der Gegensatz von finster verschwiegener Dorfgemeinschaft und Aufklärern. Strasser lässt seine Figuren erzählen vom Umgang mit einer Vergangenheit, die alle teilen. Es sind der verschwommene Blick auf Details, die bewusste Unschärfe im Umgang miteinander, die das Zusammen-Weiterleben möglich machen. Eine Balance, immer am Rande des Offensichtlichen.
Strasser verzichtet darauf, seine Figuren im Duktus deutlich voneinander abzusetzen. Allen gemeinsam ist ein Reflexionsniveau, das die eigenen Mängel der Wahrnehmung erkennt. So ist die Frage nach dem Umgang mit der Vergangenheit nicht mit schlichter Aufklärung zu beantworten. Sie reicht in die Zukunft. Radkas Urne holt Alfred heim ins Dorf. Und plötzlich werden Stimmen laut, die lange ganz leise waren.
„Immer wenn man denkt, das ist jetzt vorbei, das haben wir endlich hinter uns gelassen, weil jetzt eine neue Zeit ist mit neuen Menschen, dann kommt es plötzlich doch wieder hoch, als wäre es das Natürlichste von der Welt, dass Menschen anderen Menschen ihr Menschsein absprechen.“ Was der Doktor hier formuliert, ist die unheimliche Erkenntnis der vergangenen Jahre, dass es nur ein dünner Firnis ist, der unsere liberale Gesellschaft schützt, in der die Würde jedes Einzelnen doch unantastbar sein soll.
(Christian Jooß-Bernau, Rezension in der Süddeutschen Zeitung vom 22. Februar 2024, S. R13)
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/johano-strasser-roman-radka-kritik-1.6381931
Joachim Meissl: [Reaktion]
Lieber Herr Strasser,
ich saß letzte Woche zwei Reihen hinter Ihnen bei der Lesung in der Buchhandlung Kirchheim in Gauting. Auch wenn mir Ihr gelockter Künstlerhinterkopf etwas die Sicht auf die Bühne genommen hat, muss ich mich trotzdem bei Ihnen herzlich bedanken. Ihre so ruhige und Wort für Wort gelassen dargebrachte Lesung hat mich sehr beeindruckt und auf Ihr Buch „Radka“ sehr neugierig gemacht. Ich habe es heute beendet und es ist eines der schönsten Bücher, das ich in den letzten beiden Jahren in die Hände bekommen habe (und da waren auch die großen Fallada-Romane dabei, die ich erst jetzt, mit über 60 Jahren gelesen habe!). Die Erzählweise aus vier Perspektiven und die sinnierenden Lebensrückblicke der verschiedenen Erzähler finde ich sehr gut getroffen. Ein so ruhiger und würdevoller Vortrag eines alten Mannes ist einfach wahr, selbst dann, wenn es sich nicht reimt!
Ich rätsele allerdings noch über den jungen Mann am Schluss, der am Grab der Radka auf Alfred trifft. Aber das war wahrscheinlich Ihre Absicht, eine Spur in den Sand zu zeichnen und das Buch mit einem weiteren Rätsel über Radka offen enden zu lassen. Vielleicht habe ich aber auch einfach wieder mal etwas nicht kapiert oder überlesen. Ein schönes Buch und eine tolle Lesung! In ihrer Zusammensetzung mit dem begnadet Gedichte vortragenden Verleger Richard Pils und der schrulligen Musikuntermalung („bei mir geht es selten ohne Schiffbruch ab“) ein echtes Erlebnis!
Mit freundlichen Grüßen,
Joachim Meissl
[E-Mail an Johano Strasser vom 15. April 2024]
Elisabeth Telsnig: [Reaktion]
Sehr geehrter Herr Dr. Strasser,
letzte Woche haben wir uns bei der Lesung zum Fest „35 Jahre Verlag Bibliothek der Provinz“ getroffen und kennengelernt, ich durfte bei dieser Gelegenheit mein Buch „Luise, Geschichte eines Lebens“ vorstellen.
Ich habe mir tags darauf Ihr Buch „Radka“ in der Buchhandlung in Gauting gekauft und habe es am Wochenende gelesen.
Gelesen ist dabei nicht der richtige Ausdruck, denn ich habe das Buch „verschlungen“ – mir die Augen wund gelesen. Es ist ein großartiges Buch, das möchte ich Ihnen gerne schreiben.
Ich schicke Ihnen viele herzliche Grüße aus Salzburg – vielleicht treffen wir uns wieder, das wäre schön.
Elisabeth Telsnig
[E-Mail an Johano Strasser vom 16. April 2024]