
Geh heim und vergiss alles
Roman
Käthe Recheis, Marius Huszar
ISBN: 978-3-85252-251-7
21,5×15 cm, 120 Seiten, Hardcover
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Kurzbeschreibung
1945 kamen aus einem kleinen oberösterreichischen Konzentrationslager befreite ungarische Juden in unser Dorf, alle todkrank, fast verhungert und mit Läusen bedeckt, die Fleckfieber übertrugen. In der Anarchie der Nachkriegstage kümmerte sich niemand um sie, drei Ärzte aus Budapest waren unter ihnen. Mit ihrer Hilfe errichtete mein Vater ein provisorisches Spital in einem geplünderten Barackenlager. Mädchen aus dem Dorf halfen bei der Krankenpflege, ich war eine von ihnen. Ich hatte gewußt, daß es Konzentrationslager gab, aber damals lernte ich Opfer dieser Unmenschlichkeit persönlich kennen: abgemagert bis auf die Knochen, die Haut wie altes Pergament.
Jeder, der in diesem Spital mithalf, erkrankte an Fleckfieber, auch mein Vater, auch ich. Medikamente um das Fieber zu senken hatten wir nicht. Nur wir jungen Leute hatten Überlebenschancen. Mein Vater starb.
Mein Vater war Landarzt in einem Dorf in Oberösterreich. Ich war zehn Jahre alt, als 1938 Hitlers Truppen einmarschierten und Österreich zum Großdeutschen Reich kam. Ich war elf Jahre alt, als Hitlers Armee in Polen einfiel und der zweite Weltkrieg begann.
Als ich zur Schule ging, lehrte man mich, das deutsche Volk sei eine Herrenrasse. Es gäbe auch minderwertige Rassen, sagte man mir. Juden seien die Feinde des deutschen Volkes, sagte man mir, daher gehörten sie vernichtet.
Meine Eltern waren keine Nationalsozialisten. Sie glaubten nicht, daß es Herrenrassen und minderwertige Rassen gäbe. Meine Eltern lehrten mich, daß Freiheit und Würde des Menschen in jeder Diktatur bedroht sind.
Einer unserer Verwandten wohnte in Mauthausen, jenem Ort an der Donau, wo die Nationalsozialisten eines ihrer großen Konzentrationslager errichtet hatten. Menschen wurden dort gequält und ermordet, nur weil sie Gegner des Regimes waren, oder weil sie Juden waren, oder weil sie einem der Völker angehörten, gegen die die Nationalsozialisten kämpften. Unser Verwandter hat das Konzentrationslager nie betreten dürfen, aber was er von außen sah, war schrecklich genug. Er hat es uns erzählt. Wieviele Menschen in den Konzentrationslagern ermordet wurden, erfuhren wir erst nach dem Krieg: Schätzungen zufolge waren es über 7 Millionen.
Im letzten Kriegsjahr wurden auf dem Rückmarsch der Deutschen Armee viele Juden aus dem Osten nach Deutschland und Österreich getrieben. Das Konzentrationslager Mauthausen wurde zu klein. Auffanglager wurden errichtet. Eines dieser Lager befand sich in einem Wald, in der Nähe unseres Dorfes. Das wurde geheimgehalten. Wir wußten nichts davon.
1945 kam das Ende der Hitler-Diktatur. 55 Millionen Menschen hatten sterben müssen. Im Frühjahr 1945 marschierten amerikanische Truppen in Oberösterreich ein. Sie öffneten die Tore des Waldlagers. Keiner der Befreiten kam weit. Sie waren todkrank, fast verhungert. Mein Vater errichtete in einem Barackenlager ein Notspital. Drei der befreiten Juden, Ärzte aus Budapest, halfen ihm dabei …
(Käthe Recheis)
[Hrsg. von Marius Huszar]