
Afrika – Anläufe Anreisen
Prosa
Gerda Sengstbratl
ISBN: 978-3-99126-038-7
19×12,5 cm, 232 Seiten, Klappenbroschur
24,00 €
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Kurzbeschreibung
Im Traum
Es ist weit und still. Weißer Sand und heller Staub, elfenbeinfarbene Hörner von Rindern vor einer milchweißen Lehmwand mit einem kreideweiß verstaubten Mann in einem rahmfarbigen Kapuzenkleid. Alle Hörner, alle Tiere, alle Umrisse voneinander abgehoben, nur durch Schatten und Licht. Die staubweiße Hand des Mannes liegt auf dem Horn des vordersten Tieres. Der Mann, das bin ich. Ich bin der Leithammel der Geschichte und alles und alle folgen dem Leittier.
„In AFRIKA ANLÄUFE ANREISEN treffen die Leserinnen und Leser auf verdichtete Geschichten auf Reisen in und durch Afrika – Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Gambia, Ghana, Guinea Bissau, Mali, Senegal und Togo. Im Zentrum stehen Landschaft und Kultur, sowie Menschen, Rituale und Spiritualität. Gleichzeitig stellt die Erzählerin auch politische oder historische Überlegungen an. Ihr höchst subjektives Erleben und Wahrnehmen auf ihren Reisen wird neben allgemein gesellschaftlich relevante Themen gestellt.
Der Kontinent – aus der Sicht einer Europäerin mit langjähriger und tiefgehender Befassung mit den politischen, kulturellen, spirituellen Strukturen in Afrika – wird auf synästhetische lebendige, aber auch kritische Weise, für die Leserinnen und Leser nachvollziehbar gemacht, indem sich die Texte ganz nah am Geschehen bewegen.
Gerda Sengstbratl schildert die Unmittelbarkeit afrikanischen Lebens und afrikanischer Kultur gleichermaßen schillernd wie analytisch. Das ist die Besonderheit ihrer Prosa.“
(Petra Ganglbauer)
„Die Erzählungen öffnen eine Tür in kleine, intime Gemeinschaften. Uns wird Einblick gewährt. Wir tauchen in Sphären ein, die wir sonst niemals zu Gesicht bekämen. Farben, Gerüche und Landschaften prägen sich ein.
Gleichzeitig öffnet sich eine Tür in die andere Richtung: eine Tür in uns, die zu uns selbst führt. Zu Urgefühlen, die durch die Erzählungen erweckt werden.“
(Judith Hinterberger)
Rezensionen
Christa Nebenführ: [Rezension]Wie erzählt man über ein Land, in dem Europa eine der blutigsten Spuren hinterlassen hat? Romantisierend? Afrika! Afrika! Das kann schneller als man denkt in Neokolonialismus abrutschen, wie schon zu sehen war. Kritisch? „Gemma, gemma, Neger schauen …“ Das meint zwar den neokolonialistischen Habitus, instrumentalisiert aber die Kolonialisieren als Folie der Kritik an diesem Habitus. Dem europäischen Afrikabild etwas hinzuzufügen ist eine heikle Angelegenheit.
Gerda Sengstbratl beschreibt ihre Reisen in Länder der Subsahara in einer Kombination aus protokollierender und literarisierender Sprache. Damit wird sie zur Beteiligten, statt Voyeurin zu sein, und bemerkt als Besuchende doch Details, die den dort Lebenden aus Tradition und Gewohnheit längst zur „zweiten Natur“ geworden sind. Armut, Schmutz und Boshaftigkeit, durchdrungen von Schönheit, Würde und Güte. Oder umgekehrt.
Was von Beginn an ins Auge springt, ist die Sinnlichkeit der Schilderungen. Duft und Gestank, Wohlgeschmack und Ekel, Lärm und Stille, Farben und immer wieder Hitze. Diese Technik zieht die Lesenden in eine nahezu filmische Ästhetik.
„Von Wegen mit Pfützen flüchten Ziegen ins Gebüsch. Das Taxi hält vor dem großen Metalltor einer hohen Mauer weit außerhalb der Stadt. Die Köchin und der Aufseher nehmen mich in Empfang. Im Hof wächst nicht ein einziger Grashalm, nur ein einziger Baum und eine Rundhütte ohne Wände, gefüllt mit feinem Sand. Das Haus hat eine Veranda und von seinen Ecken führen Rohre ins Freie wie Stelzenbeine. Im Haus leben mehrere Leute. Abends kippen sie Stühle und Tische um, damit die Geister nicht hineinkriechen und sich festsetzen können.
Es dämmert. Ein Hahn kräht. In die Tanzhütte steigen. Rundherum gehen. An der Hauswand lehnt das Porträt eines Mannes. Abgeblättert und vom Regen gezeichnet. Frauen kehren Sand bis jede Spur vom Vortag verschwunden ist.“
Die Ich-Erzählerin verschweigt nicht, wie sie von Wanzen gebissen, von Einheimischen übers Ohr gehauen, gemaßregelt und verspottet wird. Auch nicht, wie sie schreit, dass sie wieder zurück in die Zivilisation wolle. Mal ist die Lesende froh, sich mit dieser Lektüre die realen Strapazen zu ersparen, mal wird sie von Sehnsucht nach diesem fremden, langsamen Land überwältigt. Anscheinende Belanglosigkeiten sind es, die fernab von Tourismus und Expedition den Alltag erfahrbar machen. Afrikanisches Omo schäumt auch mit kaltem Wasser. In manchen Gegenden ist es üblich, dass jede und jeder täglich frisch gewaschene und gebügelte Kleidung trägt, in anderen ist eine Lücke zwischen den Schneidezähnen das prägendste Schönheitsideal, und zwar je breiter umso betörender. Wieder anderswo stellt jede Familie einen Nachtwächter an, der auf einem Stuhl im Innenhof sitzend das Haus bewacht. Und Rituale. Immer wieder. Afrikanischer „Aberglaube“. Eines dieser Rituale liest sich wie eine europäische, psychotherapeutische Familienaufstellung.
Am tiefsten taucht die Schreibende und mit ihr die Lesenden in den drei letzten Episoden „Burkina Faso 1, 2 und 3“ in die Verhältnisse einer Region und einer Familie ein. „Ich habe ein Sommerhaus in Afrika.“ (1)
Dieses Haus wurde aber nicht erbaut, um Kaffeeplantagen anzulegen, wie die Farm von Karen Blixen, sondern:
„Jérome hat in Afrika ein Vanillehaus für sich und mich gebaut.“ (3)
Obwohl, oder gerade weil es keinem gängigen Plot folgt, vibriert diese Buch geradezu vor Spannung. Auf jeder Seile sieht man sich neuen Informationen gegenüber und ist neuen Empfindungen ausgesetzt.
In Burkina Faso 3, dem letzten Teil des Buches, ruft Jérome, der in Österreich keinen Urlaub bekommen hat, jeden Tag an, um Ratschläge zu erteilen und sich nach dem Befinden der reisenden Schriftstellerin zu erkundigen. Und spätestens da wird klar, dass Burkina Faso eine vieldimensionale, tiefe Liebesgeschichte ist.
„In Bobo Dioulasso lasse ich mich vom Hotel mit einem Taxi zum Wasserturm bringen. Ich denke, von dort aus werde ich den Weg finden: links an der Straße ist ein Bar und rechts muss ich die breite rote Matschstraße bergauf. Nur von dieser einen Stelle werde ich zu ihrem Haus finden, mich an den Weg erinnern und mich orientieren, denke ich. Dort lebt Jéromes Mutter. Ich habe keine Telefonnummer und keine Adresse von ihr. Ich kenne sie aus Erzählungen, von Fotos und von einem Besuch bei meiner ersten Reise: sie wurde als junge Frau als Hexe vertrieben. Ihre kleinen Kinder behielt der Mann. Eines der Kinder traf ich als Erwachsenen. Seitdem sind er und ich unzertrennlich.“
(Christa Nebenführ, Rezension in: PODIUM. Zeitschrift für Literatur, Nr. 207/208: „Science/Fiction“, Mai 2023, S. 132 ff.)
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Einer ist hier schon verrückt geworden
Gelbes Rauschen Bauschen – Oma Thekla hinterher
Jenseits der eigenen Hände